Herrscher über den Abgrund
machte, hinaufzusteigen. Vorsichtig setzte er die Pfoten, stützte sich auf, und sofort rieselte eine feine Staublawine hinunter. Rhin blieb bewegungslos stehen und schnüffelte nach oben, als könnte ihm sein Geruchssinn sagen, auf welche Steinbrocken er sich stützen dürfe.
Sander und Fanyi wichen zurück, als Rhin langsam aufwärts kletterte. Er schnaufte und ließ die Zunge halb aus dem geöffneten Maul hängen. Vorsichtig und genau setzte er die Pfoten. Noch ein Stück höher, und wieder rieselten feiner Staub und kleine Geröllteilchen herab. Nur noch eine Körperlänge, und Rhins Kopf würde die Öffnung erreicht haben. Sander stellte sich so nahe wie möglich und leuchtete ihm.
Noch einmal rollte eine Staublawine hinunter, doch diesmal war sie vermischt mit grobem Sand, wie sie ihn aus der Meereswüste kannten. Jetzt hatte Rhin Kopf und Schulter ins Freie gestreckt. Verzweifelt krallte er sich mit den Vorderpfoten am Rand der Öffnung fest. Eine Kaskade von Steinen und Staub folgte der letzten Anstrengung Rhins: er war draußen. Sein Bellen schien die beiden Menschen zu drängen, so rasch wie möglich zu folgen.
Der Schmied entzündete eine zweite und dritte Fackel und steckte sie in den Geröllhügel, so daß sie möglichst viel Licht für den gefährlichen Aufstieg hatten.
Dann holte er wiederum seinen Lederriemen hervor und sagte zu Fanyi: „Ich gehe hinauf. Wenn ich es schaffe, binde unsere Taschen an den Riemen, und sei vorsichtig, während ich sie hinaufziehe. Dann werfe ich dir den Lederriemen zu. Befestige ihn gut um die Taille, und dann laß dir Zeit beim Hinaufklettern.“
Er selbst wickelte den Riemen um den Leib und musterte den Trümmerhaufen. Die letzte Geröllkaskade hatte glücklicherweise einige größere Brocken freigelegt, die mehr Halt versprachen. Vorsichtig probierte er den untersten aus. Er hatte kaum genügend Platz, um sich mit den Zehen festzuhalten, und seine Hände glitten zweimal ab, bis er unter dem Staub einen stabileren Steinblock fühlte. Mühevoll quälte er sich weiter, bis er endlich den zweiten Brocken erreichte und dort Halt fand. Rhin beobachtete ihn von oben und bellte: es war klar, er feuerte ihn an.
Das letzte Stück war noch schwieriger. Bei Rhins Aufstieg war ein Teil der Plattform abgebrochen, und um zu dem Rest der ebenen und festeren Fläche zu gelangen, mußte Sander ein Stück überwinden, das ihm sehr trügerisch schien. Einen langen Augenblick blieb er bewegungslos stehen, wo er war, um sich etwas zu fassen und seine Nerven zu beruhigen.
Er grub beide Hände in den Staub, um nach einem sicheren Halt zu suchen. Dabei klemmte er sich die Finger zwischen den losen Steinen ein, doch dann packte er etwas, das sich nicht bewegte, und er verlagerte ganz allmählich sein Gewicht. Dann zog er sich hinauf. Ihm schien, als gebe der ganze Hügel unter ihm nach. Irgendwie gelang es ihm, mit dem Knie einen festen Halt zu finden und sich weiterzuschieben. Aber noch war er entscheidende Zentimeter vom rettenden Rand entfernt, und er hatte Angst.
Da plötzlich schnappte der Kojote zu und packte Sanders Lederjacke, die sich über seinen Muskeln spannte. Sander schrie auf vor Überraschung. Doch Rhins spontane Bewegung ließ Sander handeln. Er richtete sich auf, taumelte über den unsicheren Grund und zog sich am Rand der Öffnung nach draußen. Helles Mondlicht begrüßte ihn.
Danach war es einfach, das Gepäck heraufzuziehen, einen Stein zu suchen und den beschwerten Lederriemen zu Fanyi hinunterzulassen. Ihr Aufstieg war wesentlich einfacher, denn Sander half ihr.
Als sie endlich beide nebeneinander im Freien standen, blickten sie sich um. Im Westen konnten sie die hügelige Linie einer Küste erkennen, im Osten lag das Plateau, das einst eine Insel gewesen sein mußte und auf dem die zerstörte Stadt stand. Der Tunnel, dem sie gefolgt waren, hatte offenbar tief unter dem Meeresboden die Insel mit dem Festland verbunden.
Wo sie jetzt standen, waren sie völlig ungeschützt. Das Untier hatte sie vielleicht nicht durch die unterirdischen Gänge verfolgt, aber wenn es oder seine Artgenossen in der Stadt hausten, konnten sie leicht entdeckt werden, da sie allen Blicken preisgegeben waren. Und es würde dann leicht sein, ihren Spuren zu folgen.
Sander merkte, daß er zitterte, als er sich bückte, um sein Gepäck aufzuheben. Die Anstrengung im Tunnel, sein Hunger und die letzte Anspannung des Aufstiegs hatten ihren Zoll gefordert. Er mußte sich förmlich dazu
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