Herrscher über den Abgrund
trotzdem glitt er von dem Reittier und schritt schwerfällig über die Brücke.
Fanyi schien jetzt abwesend, wie sie es oft war, wenn sie ihren Anhänger in der Hand hielt. Sander, der nicht an ihre Macht glaubte, konnte nicht leugnen, daß in diesem Augenblick ein Mann, der nicht wie ihr eigenes Volk bereit war, ihr zu gehorchen, ganz offensichtlich gegen seinen eigenen Willen ihren Befehl ausführte.
Sie wurden umringt von verschlossen blickenden Männern. Denn obgleich es den Anschein hatte, daß die Stadt nicht nur wohl versorgt war, sondern auch bereits eine ganze Weile stand, sahen sie keine Frauen oder Kinder. Sander mochte den Ausdruck der Gesichter nicht. Von der Freundlichkeit der Händler, wenn sie die Horde aufsuchten, war hier nichts zu erkennen. Und alle Warnungen, wie eifersüchtig sie ihren Besitz bewachten, bestätigten sich. Da Sander aus einer Welt kam, in der jeder Fremdling – es sei denn, er war ein Feind wie die Weißhäutigen oder die ‚Seehaie’ – gastlich empfangen wurde, berührte ihn diese feindselige Haltung befremdlich. Aber er war jedenfalls ein Schmied, das konnte niemand leugnen. Und in jeder Gemeinschaft mußte ein Mann mit seinen Fähigkeiten willkommen geheißen werden. Er sah die Gesichter der Reihe nach an, um eine Tätowierung zu entdecken, die seiner eigenen glich. Gab es hier keinen Schmied? Er würde wenigstens von diesem einen, der seiner Zunft angehörte, akzeptiert werden; denn sie verbanden die Geheimnisse ihres Handwerks.
Aber er konnte auf keiner Stirn das blaue Hammerzeichen erkennen. Trotzdem sagte er heimlich die Worte, die beweisen konnten, daß er die Wahrheit sprach.
Die Menge teilte sich. Jon tauchte wieder auf, und neben ihm ging ein sehr viel älterer Mann. Er ging mühsam an Stöcken, und sein Kopf saß schief. Trotz seiner Gebrechen bewegte er sich rascher, als Sander es für möglich gehalten hätte, so daß er beinahe mit Jon Schritt hielt.
Er allein unter allen Händlern trug eine Tätowierung auf der Stirn, und im ersten Moment dachte Sander, daß er der Schmied sei. Aber dann wurde ihm klar, daß ein so gebrechlicher Mann allerhöchstens würde leichte Metallarbeiten machen können. Auch war seine Tätowierung kein Hammer, sondern ein Zeichen, das Sander auf eigenartige Weise bekannt vorkam. Zunächst erinnerte er sich nicht, wo er schon einmal das Profil dieses Vogelkopfes gesehen hatte, aber dann fiel ihm der Stein wieder ein, den er am Fluß gefunden hatte, und der, wie Fanyi gesagt hat, einst das Symbol eines mächtigen und stolzen Landes gewesen sein sollte.
Der Mann mit dem Vogelzeichen auf der Stirn blieb vor Sander stehen und blickte ihn, Fanyi und die Tiere lange an. Dann sprach er mit mächtiger, tiefer Stimme, die fast zu gewaltig für seinen alten mageren Körper war.
„Du“ – er wandte sich zuerst an Fanyi – „besitzt die Macht. Du“ – er wandte den Kopf ein wenig und sah Sander an – „bist ein Schmied aus dem Flachland. Und doch reist ihr gemeinsam mit diesen euren Begleitern. Welcher Grund hat euch zusammengeführt?“
„Ich bin von Padford“, entgegnete Fanyi. „Aber Padford ist nicht mehr. Die ‚Seehaie’ sind gekommen und …“ Sie machte eine Handbewegung.
„Ich habe erzählen hören“, sagte der andere, „daß die Macht eines wirklichen Zauberpriesters die Menschen, die an ihn glauben, schützen kann.“
„Es war die Zeit des Großen Mondes“, antwortete Fanyi. „Ich bin dem Ruf gefolgt. Und zu dieser Zeit haben sie zugeschlagen.“
Der alte Mann erwiderte nichts, sondern wandte sich erneut Sander zu.
„Und du, Schmied, wie du dich selbst nennst; was hat dich aus dem flachen Land, fort von deiner Horde, geführt?“
„Mein Vater starb.“ Sander sprach die Wahrheit, weil er keinen Sinn darin erblickte, seine Motive zu verbergen. „Ich war jung, mein Onkel behauptete, zu jung, um ein Schmied zu sein, obgleich mein Vater mich dazu ernannt hatte. In einer Horde gibt es keinen Platz für zwei Schmiede. Deshalb habe ich um das Recht gebeten, von den Meinen fortzuziehen.“
„Die Ungeduld der Jugend – war es das, Schmied? Du wolltest deinen Stolz nicht beugen, sondern lieber ohne Sippe leben?“
Sander glaubte Spott aus der Frage herauszuhören, aber er beherrschte sich. „Es war auch der Wunsch nach Wissen.“
„Wissen!“ Der alte Mann unterbrach ihn scharf. „Wissen wovon, Schmied? Von Schätzen, die du plündern könntest, um dich bei deiner Sippe wieder einzukaufen? War es das?
Weitere Kostenlose Bücher