Herrscher über den Abgrund
Sander seine eigenen Leute verlassen, weil er nicht weitere Jahre lang Schüler sein wollte. Er hatte ganz sicher nicht den Wunsch, diese Rolle nun bei Fremden zu spielen. Außerdem war er, entgegen seinen Vorstellungen vom gesunden Menschenverstand, doch überzeugt, daß die Zauberpriesterin etwas wußte, wenn sie von dem geheimen Platz des Wissens sprach. Zu dieser Überzeugung hatte ihn halb und halb der Anhänger bekehrt.
Kaboss’ Haushalt war klein. Seine Hausgenossin war eine stille Frau, älter als der von ihr gewählte Mann, aber sie war gekleidet, wie es der Wichtigkeit ihres Hauses entsprach: eine dicke Halskette aus poliertem Kupfer, vier silberne Ringe und ein Gürtel aus Silbergliedern, den sie um ihr mausgraues Gewand geschlungen hatte. Sie sprach selten und dann auch nur zur Magd.
Von einem Schüler fehlte jede Spur. Aber dann erwähnte Kaboss, daß er sehr wohl einen hätte, den jüngeren Sohn seines Bruders, doch daß er sich zur Zeit auf einer Expedition befände, die im Norden nach Metall suchte.
Auf seine Fragen erzählte Sander ein wenig von der Reise, ihrer Begegnung mit den Wasserwesen und dem Angriff des Ungeheuers in dem Haus auf der alten Insel. Das interessierte Kaboss ganz besonders.
„Es gibt sie also doch noch!“ rief er aus. „Früher waren sie eine so große Gefahr, daß wir nicht ohne Furcht wandern konnten. Aber dann riefen wir eine Sippenversammlung ein und töteten an einem Tag zwölf der Monster. Seitdem haben sie uns nicht mehr behelligt, und wir dachten, sie hätten die Gegend verlassen. Und jetzt kommen auch noch die, die du die Weißen nennst, und bringen uns Gefahr. Aber die Flußwesen –, die kannst du vergessen. Man kann an Land leicht mit ihnen fertig werden.“
Die Frau beugte sich plötzlich nach vorn und starrte Sander an, als hörte sie nichts von dem, was Kaboss erzählte. Jetzt deutete sie auf den Gast.
„Sage mir, Fremdling, warum trägst du dieses Eisen um den Kopf?“
Er hatte völlig vergessen, daß er immer noch das geflochtene Band trug, das ihn vor dem „suchenden Gedanken“, wie Fanyi es nannte, schützen sollte.
Die Frau wartete keine Antwort ab. „Du suchst den Schutz des Kalten Eisens. Sage ich nicht die Wahrheit, Fremdling? Etwas ist zu dir gekommen, das du nicht verstehst, etwas, das kein Mann sucht, stimmt es nicht?“
Kaboss blickte abwechselnd seine Frau und Sander an. Jetzt rückte er ein wenig von dem jungen Mann ab.
„Von einem Geist berührt!“
Die Frau lächelte – aber keineswegs freundlich. „Ich möchte wissen, wieso du es nicht bemerkt hast, Kaboss. Ja, er ist von einem Geist berührt worden. Und dergleichen dulde ich nicht unter meinem Dach. Denn es kann sein, daß er eine Türe öffnet zu etwas, das wir nicht sehen oder fühlen können. Nimm ihn mit, und bringe ihn zu der anderen, die wenigstens zugibt, daß sie mit denen spricht, die nicht so sind wie wir. Tu dies um der Sicherheit willen – nicht nur für dieses Haus, sondern für die ganze Sippe.“
„Der Planer Albert hat ihn hierher geschickt“, sagte Kaboss.
„Dieses Haus gehört mir, nicht dem Planer Albert. Und ich glaube, wenn jemand entdeckt, daß wir so einen unter unserem Dach beherbergt haben, finden wir mehr Feinde als Freunde.“
Zögernd stand Kaboss auf und winkte Sander. „Das Haus gehört ihr“, sagte er schwerfällig. „Sie kann also entscheiden. Komm, fremder Schmied.“
Wieder fand sich Sander im Exil. Eine geflüsterte Erklärung gegenüber der Brückenwache, und schon stand er zusammen mit Rhin allein in der Nacht.
Er war noch ganz benommen von dem raschen Wechsel der Dinge, daß er nicht überrascht war, den Planwagen leer zu finden, der Fanyi zugeteilt war.
Er befestigte sein Bündel an Rhins Sattel und gab ihm damit zu verstehen, daß sie unbedingt weiter mußten. Er saß auf, und der Kojote, die Nase am Boden, folgte der Spur.
Die Ruinen
Es beunruhigte Sander, daß Kaboss ihn so ohne weiteres – und ohne den Planer zu unterrichten – ausgestoßen hatte. Er bedachte während des Rittes sein Verhalten, das sich auffallend rasch geändert hatte. Die Frau hatte sicher nur ihren Gefühlen Ausdruck gegeben – was lag demnach näher, als zu vermuten, daß die Händler gleichfalls einen Überfall auf ihre Gedanken erlebt hatten wie Sander? Sie kannten die Bedeutung des Kalten Eisens, die bisher immer als Legende abgetan worden war. Sander jedenfalls kannte niemand aus seinem Volk, der darauf zurückgegriffen hätte.
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