Herrscher
anrücken?«
»Als ich fortritt, wimmelte die Kaserne von Söldnern. Ich würde sagen, er hat zehn bis zwölf Kompanien Infanterie; rund zweitausend Mann. Doch weitere sind im Anmarsch.«
Sevrens Informationen über Nachschub und Taktik machten einen unmittelbar bevorstehenden Angriff wahrscheinlicher.
Wie viele Söhne sind dort, um die Feste zu schützen? Haben sie überhaupt Waffen? Rüstungen? Als Dar diese Dinge überlegte, fürchtete sie, dass jede Verteidigung sinnlos war. »Der Pass muss um jeden Preis blockiert werden«, sagte sie und beschleunigte unbewusst ihren Schritt.
»Ich habe Stiefel und Winterreitkleider für Königin Girta mitgebracht«, sagte Sevren. »Wenn sie gesund ist, kann sie auf Skymere reiten.«
»Und was ist mit dir?«
»Ich gehe mit euch zu Fuß.«
»Du hast schon genug getan. Es gibt keinen Grund, dass du bleibst.«
»Weißt du noch, dass ich dir einst erzählt habe, ich hätte mein Zuhause nur mit einem Schwert verlassen, um mein Auskommen zu finden?«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Ich war damals nur ein Bürschlein und wusste nicht mehr über die Welt als jeder andere. Ich hatte vor, die Schwachen zu beschützen und das Unrecht zu bekämpfen.« Sevren schüttelte über seine Naivität den Kopf. »Ich habe den Charakter meiner Herren und die Art meines Gewerbes schnell durchschaut. Doch diesmal ist es anders.«
»Weil es hoffnungslos ist?«
»Nicht hoffnungslos. Sag das nicht.«
»Wenn der Pass nicht blockiert wird, welche Chancen haben wir dann?«
»Welche Chance hattest du denn, als Othar vor dir stand? Ein ehrenwerter Grund muss nicht vergeblich sein. Ich möchte für eure Sache kämpfen. Ich muss es tun.«
»Dann darfst du es auch«, sagte Dar. »Danke.« Sie lächelte irgendwie traurig. »Ich schicke dich immer fort und danke dir dann dafür, dass du bleibst.«
»Ja, das ist die Vorlage, nach der wir tanzen.«
Dar verfiel in Schweigen, und Sevren, einen Schritt hinter ihr, tat es ihr gleich. Es wurde dunkel. Da Zna-yat die Kolonne anführte, war dies kein Problem, denn Dar hatte ohnehin vor, noch eine Weile zu marschieren. Doch als der Fluss nach Norden abbog, rief sie plötzlich: »Gat!« Halt.
Zna-yat blieb auf der Stelle stehen und fragte: »Was ist, Muth Mauk?«
»Da kommt jemand.«
Zna-yat sagte nichts. Er trat einfach hinter sie. Im gleichen Moment sah Dar an seinem Gesicht, dass er das, was sie gesichtet hatte, nicht sehen konnte. Sie musterte die Gestalt, die auf dem schneebeckten Pfad auf sie zuhumpelte. Im matten Licht erkannte sie nur einen vagen Umriss. Es schien ein Sohn zu sein. Dar ging ihm entgegen und ließ ihre Begleiter zurück.
Der Sohn blieb stehen. Als Dar ihm näher war, wurde seine Gestalt deutlicher erkennbar. Er war nackt. Seine blasse Haut wies dunkle Flecke auf. Dar ging noch näher heran und erkannte die Flecken als blutige Wunden.
Deswegen humpelt er. Da der Sohn irgendwie durchsichtig wirkte, war er nur schwer zu erkennen. Die Schneeflocken fielen durch seinen Körper und blieben dabei sichtbar;
seine Gesichtzüge vermischten sich mit der Landschaft hinter ihm.
Dar erkannte ihn erst, als er nur noch ein paar Schritte entfernt war. »Lama-tok?«
»Tav, Dargu.«
Dar war nicht gänzlich überrascht, doch dies reduzierte nicht ihren Schreck und ihre Trauer.
Lama-tok schien sich ihrer Gefühle bewusst zu sein, denn er schaute sie voller Zuneigung und Besorgnis an. Dann lächelte er leicht. »Ich war ein Wolf, Dargu. Ich habe alle Washavoki erschlagen.«
»Aber sie haben auch dich erschlagen.«
»Das Leben entströmte mir, bevor ich den Sitz deiner Familie erreichte. Aber ich hätte es beinahe geschafft.«
»Und Ven-goth?«
»Die Washavoki haben sich auf dem Pass versteckt und uns mit Pfeilen beschossen. Sein letzter Gedanke galt Fre-pah. Er hätte es gern, wenn sie es wüsste.«
»Es ist schade, dass ihr beide gestorben seid.«
»Du weißt, dass Muth’la uns umarmt. Man empfindet es als Freude.« Lama-tok verblasste langsam. »Eins möchte ich noch sagen, Dargu: Es ist nicht immer unklug zu sterben.«
Mit diesen Worten verblasste er gänzlich, und Dar schaute in die leere Dunkelheit.
41
DAR RISS SICH ZUSAMMEN und kehrte zu den Orks zurück, die still und erwartungsvoll zurückgeblieben waren. »Lama-tok und Ven-goth haben ihre Mission nicht überlebt«, sagte sie und machte das Zeichen des Baums. »Die Söhne der Tok-Sippe wissen nicht, dass sie den Pass blockieren müssen. Nun kann nur ich es ihnen sagen. Wir müssen
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