Herrscher
gerade so weit auseinander, um einen Blick auf das Licht der morgendlichen Dämmerung zu erhaschen. Dann zog sie den Arm wieder unter den Umhang zurück und tastete seufzend nach ihren Stiefeln. Der Arm, der ihre Taille umfasste, regte sich leicht. »Dargu«, sagte Kovok-mah leise.
»Hai?«
»Ist es falsch, dass ich möchte, dass du bleibst?«
»Thwa«, gab Dar ebenso leise zurück. Es ist nicht klug, aber nicht falsch. Sie seufzte noch einmal. »Ich würde auch gern bleiben.«
»Aber du glaubst, dass es Ärger bringt.«
Dar ging davon aus. Na und? Was ist denn dieser Verstoß im Vergleich mit der Katastrophe, die uns bevorsteht? »Es war klug von meiner Schwester, dir zu sagen, dass du mir Obdach gewähren musst – und dass sie mich zu dir geschickt hat. Heute Morgen bin ich mit mir im Frieden.«
»Ich auch mit mir. Du gibst mir Kraft, Dargu. Es war schon immer so.«
Dar ergab sich dem Sehnen ihres Herzens und ruhte noch eine Weile in Kovok-mahs Armen. Sie stand erst auf, als sie hörte, dass sich die anderen im Lager regten. Als sie ihr Nachtquartier verließ, stellte sie fest, dass es halb vom Schnee verschüttet war. Nir-yat war schon auf und dirigierte die Aktivitäten der Orks. Ein Feuer brannte; ein Sohn rührte den Inhalt des Kessels um, der darüber hing. »Erhitze es langsam«, sagte Nir-yat. »Die Grütze soll auftauen, nicht anbrennen.« Als sie Dar erspähte, sagte sie zu einem anderen Sohn: »Zna-yat soll die Washavoki-Königin zu Kovok-mah bringen.« Als der Sohn sich in Bewegung setzte, lächelte Nir-yat Dar an. »Du siehst ausgeruht aus.«
Dars Haupterinnerungen an den vergangenen Abend hießen Mutlosigkeit und Erschöpfung. Ihr fiel ein, dass sie geweint und gegessen hatte und dann in Kovok-mahs Unterkunft eingeschlafen war. Der Rest war ihr nur vage erinnerlich. Allem Anschein hatte ihre Schwester alles organisiert. So, wie das Lager aussah, hatte sie es gut gemacht.
Nir-yat verbeugte sich vor Dar. »Die Posten haben keine Washavoki gesichtet.«
»Du hast Wachen aufgestellt?«
»Hai, Muth Mauk. Wir haben nicht genug Unterstände, deswegen mussten die Söhne sich beim Schlafen abwechseln. «
»Kovok-mah aber nicht?«
»Er war mit Heilen beschäftigt.«
»Heilen?«
»Hai«, erwiderte Nir-yat. »Nicht nur Fleisch kann verletzt werden. Man kann auch den Geist verletzen.« Sie
nahm Dar genauer in Augenschein. »Du siehst zwar besser aus, aber ich glaube, auch du brauchst noch mehr Heilung.«
Dar lächelte. »Seit wann bist du denn Heilerin?«
»Seit du mir in den Nacken gebissen hast, habe ich einige Talente an mir entdeckt.«
Zna-yat kam zu ihnen. Er trug die bewusstlose Girta, und Dar folgte ihm zu Kovok-mahs Unterstand. Nir-yat schloss sich ihnen an; sie war auch anwesend, als Kovok-mah die Königin untersuchte. Die Pfeilspitze, die sie verletzt hatte, war breit gewesen, deswegen hatte die Wunde genäht werden müssen. Nun begutachtete Kovok-mah die verletzte Stelle und roch an ihr. Schließlich entnahm er seinem Heilerbeutel getrocknete Kräuter, zerkaute sie und spuckte den Kräutersaft auf die Wunde. Danach spuckte er die Kräuter aus und schnitt eine Grimasse. »Wasser!«
Als Zna-yat mit dem Wassersack kam, war Girta schon wieder verpackt. Kovok-mah spülte sich sorgfältig den Mund aus. »Ich hatte ganz vergessen, wie abscheulich dieser Zauber schmeckt.«
»Wie geht es der Königin?«, fragte Dar.
»Mir wäre wohler, wenn die Wunde nicht so geschwollen wäre. Wenn sie aufwacht, braue ich ihr ein Zauberwasser.«
»Aber wird sie überleben?«, fragte Dar.
»Ich glaube schon. Sie wird aber noch eine Weile Schmerzen haben.«
Dar schaute Nir-yat an. »Wir sollten so schnell wie möglich weiterziehen.«
Als die Grütze aufgetaut war, verzehrte man eine schnelle Mahlzeit und trank heißes Kräuterwasser dazu. Danach setzte die Gruppe ihren Weg fort. Es schneite noch immer, doch nicht mehr so stark wie am Tag zuvor. Der Wind blies jedoch ebenso heftig. Die Straße war unter den Schneewehen
als solche nicht mehr zu erkennen. Dar ließ Zna-yat vorausgehen und suchte das Gelände nach Anzeichen ab, die auf den Fluss hinwiesen.
Die Sonne war hinter Wolken verborgen, sodass Dar, als Girta mit einem schrillen Aufschrei erwachte, nur annehmen konnte, dass es Nachmittag war. Sie und Kovok-mah eilten an die Seite der Königin. »Girta! Ist alles in Ordnung ?«
Girta ruckte einen Augenblick auf ihrer Trage hin und her, dann schwand der verschreckte Ausdruck aus ihrem Gesicht, und sie
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