Herrscher
kurz sein.«
»Dass deine Nevas lang sein und eng sitzen müssen«, antwortete Nir-yat.
»Aus welchem Grund?«
»Du wirst deinen Platz immer auf einem Lehnstuhl oder einem Thron haben, nie auf einem gewöhnlichen Polster. Und sage Thorma-yat, dass die Spitzen deiner Kefe bis unter die Hüfte reichen sollen. So sind sie am vornehmsten.«
»So viel mag mir gelingen«, äußerte Dar. »Ich lasse Thorma-yat kommen. Schlauer als jetzt werde ich so bald nicht sein.«
Nachdem die Schneiderin sich eingefunden hatte, blieb sie fast den ganzen Vormittag bei Dar. Dar wiederholte, was Nir-yat ihr empfohlen hatte, dann bat sie ihre Schwester, genau zu beschreiben, wie jedes Kleidungsstück geschneidert werden sollte. Dar hörte nur halb zu, während Thorma-yat und Nir-yat sich verständigten.
Schließlich nahm die Schneiderin die ausgesuchten Muster an sich und verneigte sich vor Dar. »Jetzt weiß ich, was zu tun ist, Muth Mauk.«
»Du bereitest mir Freude, Thorma-yat.« Dar wartete, bis sie wieder mit Nir-yat allein war, ehe sie die Lippen zu einem breiten Lächeln verzog. »Auch du bereitest mir Freude,
Schwester. Ich bin sicher, dass ich großartig aussehen werde.«
Nir-yat erwiderte Dars Lächeln. »Ganz bestimmt.«
Dar fühlte sich von Nir-yats Zuversicht ermutigt, da sie darin ein Zeichen sah, dass ihre Schwester sich nicht von der Muthuri hatte einschüchtern lassen. Bei der Bestellung der Bekleidung hatte Nir-yat höchstes Geschick bewiesen, und Dar erwartete, dass sie ihr auch in vielerlei anderer Hinsicht behilflich sein konnte.
Sie hat von ihrer Großmutter mehr gelernt, als ihr klar ist, dachte Dar. Sie weiß, wie das Hanmuthi einer Königin geführt werden muss.
Tatsächlich galten Nir-yats Überlegungen schon der nächsten Aufgabe.
»Bevor wir mit Gar-yat über die Festlichkeiten reden, sollten wir uns von der Wissenshüterin das Hanmuthi-Verzeichnis besorgen.«
»Eine Liste, aus der hervorgeht, welche Familien von hohem und welche von niedrigem Stand sind?«
»Hai. So etwas kann eine heikle Sache sein.«
Nir-yat erläuterte, dass zwar zahlreiche Angehörige der Yat-Sippe in der umliegenden Gegend lebten, am begehrtesten waren jedoch die Hanmuthis am Familiensitz. Davon gab es lediglich dreiunddreißig. Weil sich auf dem Berggipfel keine Möglichkeit mehr zum Anbauen fand, war es eine schwierige und oft strittige Verhandlungssache zu entscheiden, welche Familien sie bewohnen durften und welche Mutter das jeweilige Oberhaupt sein sollte. Hauptsächlich richteten sich diese Beschlüsse nach der Ahnenreihe, doch berücksichtigte man auch andere Gesichtspunkte. Hanmuthis wechselten die Bewohner, indem das Ansehen gewisser Familien sank oder stieg, und die Wissenshüterin zeichnete
alle Veränderungen auf. Darum fand die Reihenfolge, in der die Hanmuthis zu den Festen der Königin eingeladen wurden, große Beachtung.
Am Nachmittag wurde Dar von Nir-yat zur Kammer des Wissens geführt. Sie lag ihm alten Teil des Familiensitzes und glich in der Anlage einem Hanmuthi, nur waren die Nebenräume keine Schlafzimmer. Vielmehr standen darin Gestelle, die als Aufbewahrungsort von Holzbrettern dienten, die ungefähr einen Arm lang und eine Hand breit waren.
Dar hatte den Eindruck, dass sie das Holzlager eines Zimmermanns betrat, nicht aber eine Schatzkammer des Wissens. Im Mittelraum gab es mehrere Tische, und auch darauf lagen zuhauf Bretter. Wie eine Muthuri in ihrem Hanmuthi saß die Wissenshüterin an dem mittig errichteten Herd auf einem Stuhl. Sie betrachtete mit äußerster Aufmerksamkeit ein Brett, das sie auf dem Schoß hielt, und fuhr zusammen, als Dar sie ansprach.
»Möge Muth’la dich segnen, Yev-yat.«
Sofort erhob sich die Mutter und verneigte sich vor Dar. »Shashav, Muth Mauk.«
Es überraschte Dar, dass eine Mutter, die kaum älter als Nir-yat aussah, Wissenshüterin sein sollte. Yev-yat hatte ein auffällig fremdartiges Aussehen. Dank ihres schmalen Gesichts schienen die grünen Augen besonders groß zu sein, und das dichte Haar war pechschwarz, eine bei den Orks ungewöhnliche Farbe. Sie hatte einen eher zierlichen Körperbau und war lediglich so groß wie Dar. Um den Hals hing ihr an einer Kordel ein Messinggegenstand. Obwohl er die Umrisse eines Schlüssels hatte, nahm Dar an, es wäre bloß ein Anhänger.
Yev-yats Blick fiel beiläufig auf Dars Brustwarzen und
Finger- und Zehennägel. »Es heißt, dass dein Verständnis der Dinge gewachsen ist, seit du in den Nacken deiner Schwester
Weitere Kostenlose Bücher