Herrscher
überlegte, ob sie Nir-yat von der Vision des brennenden Familiensitzes erzählen sollte. Ungern wollte sie ihre Beunruhigung vertiefen, doch es machte ihr ein schlechtes Gewissen, vor jemandem Geheimnisse zu haben, der ihr alles gab. Sie war noch zu keinem Entschluss gelangt, als
Jvar-yat das Hanmuthi betrat und für eine willkommene Unterbrechung sorgte.
Sofort nutzte Dar das neu erworbene Wissen und sprach die Latath auf gebührliche Art an. »Möge Muth’la dich segnen, Jvar-yat.«
»Shashav, Muth Mauk.« Jvar-yat verbeugte sich und stellte ein glatt poliertes Steintablett auf den Fußboden. »Wie es dein Wunsch war, habe ich Talmauki hergestellt.«
»Du bereitest mir Freude«, antwortete Dar mit der üblichen Floskel.
Sobald Jvar-yat fort war, schaute Dar sich an, was auf dem Tablett lag. Es waren ein Pinselchen, ein Tuch und zwei kleine Behältnisse. Die Gefäße hatte man aus dem gleichen dunklen Stein gefertigt wie das Tablett. Sie wirkten sehr alt. Dar hob ein Deckelchen ab. Das Gefäß enthielt eine Paste im Blaugrün von Tannen.
»Für deine Brustwarzen«, sagte Nir-yat.
Dar berührte die Paste. Sie fühlte sich wie klebriger Lehm an. »Wann benutze ich diese Farbe?«
»Immer«, erläuterte Nir-yat. »Außer wenn du stillst.«
Die letzte Bemerkung tat Dar als unerheblich ab. Sie trug die Paste auf und säuberte sich danach die Finger an dem Tüchlein. Anschließend öffnete sie das zweite Behältnis. Darin befand sich eine dicke Flüssigkeit, die die gleiche Farbe wie die Paste hatte.
»Für die Krallen«, sagte Nir-yat. Sie besah sich Dars Fingernägel und nahm das Pinselchen zur Hand. »Lass mich sie anmalen.«
Dar steckte eine Hand aus, und Nir bemalte einen Fingernagel. Statt die ganze Fläche abzudecken, färbte sie nur die Mitte, sodass der Nagel einer Ork-Kralle ähnelte. »Was hältst du davon?«
Dar lächelte. »Es sieht natürlicher aus.«
»Auch ich habe diesen Eindruck.«
Nachdem Nir-yat die Fingernägel angemalt hatte, nahm sie sich auch Dars Zehennägel vor. Anschließend rief Dar Thorma-yat zu sich, um königliche Gewänder in Auftrag zu geben.
Die Schneiderin erklärte, die Anfertigung von Kefe im richtigen Farbton würde mehrere Tage dauern, da man den Stoff aus besonders gefärbter Wolle wob. Noch länger würde man brauchen, um genügend Stoff für einen talmaukifarbenen Umhang herzustellen. Thorma-yat entschuldigte sich für die Verzögerung. »Fünf Winter sind verstrichen, seit hier das letzte Mal eine Königin gewohnt hat. Ich berate mich unverzüglich mit den Färbern.«
»Unterdessen kannst du Muth Mauks übrige Kleidungsstücke schneidern«, sagte Nir-yat. »Darauf braucht sie nicht zu warten.«
»Da hast du natürlich recht«, stimmte Thorma-yat zu. Anscheinend fühlte sie sich geschmeichelt. Sie verbeugte sich vor Dar. »Ich hole meine Mustersammlung.«
»Schwester«, sagte Nir-yat zu Dar, nachdem Thorma-yat hinausgeeilt war, »lass dich bei der Auswahl von mir leiten. Ich werde viele Stoffe loben, aber wenn ich sage ›Gefällt er dir?‹, ist es ein Stoff, für den du dich entscheiden solltest.«
»Warum triffst du nicht einfach die Wahl für mich?«
»Dadurch würde ein falscher Eindruck entstehen. Große Mütter erhalten vielerlei Ratschläge, aber den letztendlichen Entschluss fällen sie selbst.«
Dar wusste Nir-yats Scharfblick zu schätzen, speziell nachdem Thorma-yat sich wieder eingefunden hatte. Als die Schneiderin das erste Mal für Dar Ork-Kleidung fertigen sollte, hatte sie nur ein paar Dutzend Bahnen Stoff vorgelegt.
Diesmal schleppte sie eine Riesentuchlast an. Noch nie hatte Dar irgendwo eine derartige Vielfalt von Geweben vorgefunden.
Es gab eine breite Auswahl an Farben und Mustern, und auch die Webstoffe unterschieden sich in mancherlei Hinsicht. Außer solchen aus Wolle waren Stoffe vorhanden, die Dar nie zuvor gesehen hatte, angefangen von hauchzartem bis zu schwerem Tuch, und ebenso war die Webart verschieden.
Thorma-yat breitete die ganze Überfülle vor Dar aus, ohne Empfehlungen auszusprechen, doch Nir-yat war Dar behilflich, ohne dass es offensichtlich wurde. Sie mied grelle Farben und auffällige Muster und lenkte Dar in die Richtung einer erlesenen, aber zurückhaltenden Ausstattung. Sie bevorzugte gemusterte Stoffe, weiche Grün- und Blautöne sowie warme Ockerfarben.
Gegen Ende der Beratung erkannte Dar, dass Nir-yats Auswahl insgesamt eine durchweg passende Zusammenstellung ergab. Während ihres Heranwachssens hatte sie
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