Herrscher
befürchten.
22
DIE STRASSE, die Kovok-mah nach Taiben nahm, hieß zwar Neue Straße, doch sie war schon vor Generationen gebaut worden, damit man die Hauptstadt der Washavoki schneller erreichen konnte. Die Neue Straße erfüllte ihren Zweck, denn sie führte in die Berge hinauf und durchschnitt einen hohen Kamm. Aufgrund ihres Höhenverlaufs war sie im Winter zugeschneit.
Nachdem das Tal der Yat-Sippe hinter ihm lag, stieß Kovok-mah fortlaufend auf Schneewehen. Je höher er kam, umso dicker wurden sie. Schließlich bereitete jeder Schritt ihm Mühe. Dennoch ging er weiter, bis er an den Pass kam. Da war es Abend, und er beschloss zu kampieren.
Der Pass war die höchste Stelle des Weges. Man hatte ihn durch den Fels geschlagen, deswegen bot er Schutz vor dem Wind und dem heftigen Schneegestöber. Da auf der Passstraße oft Reisende lagerten, waren ihre steilen Wände von zahllosen Lagerfeuern geschwärzt. Kovok-mah trat in die Mitte, wo der Schnee nicht ganz so hoch war, und schlug sein Lager auf. Er hatte Feuerholz mitgenommen, das kurz darauf vor sich hinknisterte. Er machte einen Platz schneefrei,
schmolz zur Gewinnung von Kräuterwasser ein wenig Schnee und röstete einige Pashiwurzeln, die er zu der Hartmilch verzehrte, die ihm als Wegzehrung diente. In den Reiseumhang eingehüllt, aß er sein einfaches Mahl und dachte an den vor ihm liegenden Tag.
Er war zwar nicht auf Taiben erpicht, doch Zna-yat wiederzusehen, machte ihn froh. Er ist bestimmt vor Freude außer sich, wenn er hört, dass Dargu noch lebt. Die Königin war für ihn noch immer Dargu. Er sehnte sich nach der Zeit zurück, in der ihre Liebe noch unkompliziert gewesen war. Bevor Muthuri sich eingemischt hat. Bevor Dargu Muth Mauk wurde. In der vergangenen Nacht hatte er sie in den Armen gehalten und alle Gefühle waren erneut aufgeflammt. Seine Leidenschaft war groß gewesen … Es hatte ihn erleichtert, fortgeschickt zu werden. Er wusste, dass es klug von ihr war, dies zu tun. Aber seine Erleichterung war ebenso groß wie seine Verzweiflung. Wie kann ich so weiterleben? Nur eine Antwort fiel ihm ein: Es geht nicht anders.
Kovok-mah versuchte seine Qual zu lindern, indem er sich den vor ihm liegenden Tag ausmalte. Dar hatte ihn gebeten, in Taiben die Lage zu erkunden und ihr einen Bericht zu schicken. Das konnte nicht schwierig sein. Doch sie wollte auch, dass er in Erfahrung brachte, was die Washavoki dachten.
Dieser Aufgabe fühlte er sich weniger gut gewachsen. Seine Beziehung zu Dar hatte ihn nur wenig über gewöhnliche Washavoki gelehrt. Seiner Meinung nach verhielten sie sich noch immer unerklärlich.
Worte sind für sie nur Töne. Viel von dem, was sie sagen, ist bedeutungslos. Er war der Ansicht, dass der Geruchssinn einem mehr über die Washavoki sagen konnte als ein Gespräch mit ihnen.
Doch Dargu wollte, dass er mit ihnen sprach. Deswegen wollte er die Worte sagen, die sie ihm aufgetragen hatte. Er hoffte, dass sie ausreichten.
Zur Mittagsstunde des nächsten Tages erreichte Kovok-mah das Stadttor von Taiben. Obwohl er keine Rüstung trug, roch er die Angst der seinen Weg blockierenden Wachtposten.
Kovok-mah achtete darauf, dass seine Hand nicht in die Nähe seines Schwertknaufs kam und rezitierte Dars Botschaft.
»Ich komme in Frieden. Ich habe eine Botschaft von unserer Königin an die eure. Wollt ihr eurer Majestät mitteilen, dass ich hier bin?«
Es schien die Posten zu überraschen, dass er zu ihnen sprach. Einer erwiderte in der langsamen und vereinfachten Sprache, die man bei Kindern und geistig Zurückgeblieben anwandte: »Du hier warten. Wir Königin Bescheid sagen.«
Kovok-mah wartete geduldig. Ein Posten eilte zum Palast. Es dauerte eine Weile, bis er in Begleitung blau und scharlachtot gekleideter Bewaffneter zurückkehrte. Man eskortierte Kovok-mah durch die städtischen Straßen zum Palast. Nachdem er ihn betreten hatte, wurde er zum Portal eines großen verräucherten Raumes geführt. »Warte hier«, sagte ein Washavoki. »Die Königin lässt dich rufen. Du verstehen? «
»Gewiss.« Kovok-mah betrat den Raum. Er war mit Sandeis-Fenstern ausgestattet, doch jedoch so verrußt waren, dass kaum Licht hereinfiel. Für seine Augen war dies kein Problem, wenn sie auch allmählich anfingen zu brennen. Er sah, dass der Rauch aus einem provisorischen Herd in der
Mitte des Raumes aufstieg. Außerdem stellte er fest, dass jemand Muth’las Umarmung in den Holzfußboden geschnitzt hatte. Im Inneren dieses Kreises
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