Herrscher
erwiderte Dar. »Und sie bedecken ihre Brüste nicht wegen der Kälte, sondern weil sie sie verbergen möchten.«
»Warum das denn?«, fragte Nir-yat.
Dar errötete bei der Erklärung. »Bei den Washavoki herrschen die Söhne über die Mütter. Sie glauben, die Freiheit zu haben, sich auch dann mit ihnen zu verlustieren, wenn die Mütter dazu keine Lust haben. Der Anblick von Brüsten erinnert Söhne nicht an mütterliche Würde und Autorität. Bei ihrem Anblick fühlen sie sich vielmehr dazu ermutigt … ähm …«
»Liebe zu schenken?«, fragte Nir-yat in einem erschreckten Tonfall. »Ohne Erlaubnis?«
»Ich würde es nicht ›Liebe schenken‹ nennen. Und manche Söhne tun sogar mehr als das. Sie thrimuken ohne Segen. Bei den Washavoki nennt man dies ›vergewaltigen‹.«
Nir-yats Miene spiegelte Empörung und Entsetzen wider. »Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so etwas möglich ist!«
»Nicht alle Washavoki-Söhne sind so«, sagte Dar. »Aber manche eben doch. Ich habe es selbst gesehen. Deswegen
werden wir in Taiben Hemden tragen.« Sie wandte sich ihrer erschütterten Schwester zu. »Möchtest du mich noch immer begleiten?«
»Wie könnte ich dich mit diesem Wissen allein gehen lassen? «
Thorma-yat wirkte von Dars Enthüllungen ebenso entsetzt wie Nir-yat. Andererseits hatte sie aber auch einen Auftrag zu erledigen. »Solche fremdartigen Gewänder habe ich noch nie geschneidert. Wie zieht man sie denn an?«
Dar nahm ein dünnes lehmgeweißtes Brett und zeichnete ein kragenloses langärmeliges Hemd, das man am Rücken verschloss. Die Schneiderin ging, kehrte mit Leinen und Nähwerkzeug zurück und unternahm einen Versuch, ein Hemd zu schneidern, das Dar zusagte. Sie musste es mehrmals anprobieren, bevor der Schneiderin ein zufriedenstellendes Muster gelang.
Zwischen den Anproben besprach Dar mit dem Minatri Tatfa-jan und dessen Sippen-Matriarchin ein weiteres Vorhaben. Die Jan-Sippe war zwar als Eisen-Sippe bekannt, doch ihre Angehörigen bearbeiteten auch alle anderen Metalle. Dar besprach mit den beiden, was sie wollte.
»Die Washavoki erwarten, dass Herrscher ihre Macht schon im Erscheinungsbild zeigen«, sagte sie. »Starke Söhne und Mütter kleiden sich wie bunte Vögel. Das habe ich zwar nicht vor, aber irgendein Zeichen meiner Autorität und Macht brauche ich. Man kann es mit etwas erzielen, das die Washavoki ›Schmuck‹ nennen. Es handelt sich um Gegenstände aus gelbem Eisen, die man über der Kleidung trägt.«
»Was sind das für Gegenstände?«, fragte Muth-jan.
Dar deutete auf die flachen Reliefs, die in die Setinwände ihres Hanmuthi gemeißelt waren. »Etwas in dieser Art. Sie
müssen flach und so klein sein, das man sie um den Hals hängen kann. Die Washavoki nennen solchen Schmuck ›Kette‹. Da das gelbe Eisen bei ihnen sehr wertvoll ist, sollte ein solches Schmuckstück nicht zu klein sein.«
Muth-jan untersuchte die Reliefs. »Was soll denn auf dieser Käthe abgebildet sein?«
»Der Baum ist Muth’la«, sagte Dar. »Also würde ein Baum gut passen.«
»Das erscheint mir als kluge Wahl«, sagte Muth-jan. »Tatfa-jan ist ein guter Schmied.«
»Hai, Matriarchin«, sagte Tatfa-jan. »Aber meine Gussformen muss ein anderer machen.«
»Muth-tok ist Bildhauerin«, sagte Muth-jan. »Sie entwirft Muster, wie man sie hier an Muth Mauks Wänden sieht. Vielleicht könnt ihr zusammenarbeiten.«
Muth-tok wurde gerufen. Man besprach die Form der Kette zu viert. Dar wollte, dass der Anhänger aus einem beeindruckenden Goldklumpen bestand und so groß war wie eine Hand mit ausgesteckten Fingern. Da Gold bei den Orks keinen großen Stellenwert hatte, war es vielleicht problematisch, genug zu beschaffen, damit es für einen Anhänger reichte, doch Muth-jan war guten Mutes. Nach dem Ende der Diskussion ging Muth-tok mit Tatfa-jan hinaus, um das Baummuster zu entwerfen, während Muth-jan sich aufmachte, um das benötigte Gold aufzutreiben.
Als Thorma-yat mit Stoffmustern für Dars und Nir-yats Hemden zurückkehrte, übertrug Dar ihr noch eine Aufgabe. »Ich brauche ein Band aus Talmauki-Leinen, das ich um die Stirn wickeln kann, um meine Brandzeichen zu verdecken.« Dar deutete auf die Narbe, die von einem Brandeisen des Königs stammte. »Ich möchte nicht, dass die Washavoki es sehen.«
»Wirst du das Band unter der Krone tragen?«, fragte Thorma-yat.
»Hai«, erwiderte Dar. »Es reicht, wenn es nur an der Stirn undurchsichtig ist.«
Die Schneiderin verbeugte sich.
Weitere Kostenlose Bücher