Herrscher
einer Verletzung nur, weil er ihren Unterarm packte und festhielt. Dann ergriff er die Hand, mit der sie den Sack festhielt.
Die junge Frau wehrte sich weiterhin, und als Sevren sie auf den Boden drückte, erkannte er verdutzt, wie jung sie war. Seine Gefangene konnte kaum älter als dreizehn sein, war zierlich und eigentlich kein Gegner für ihn. Trotz der völligen Hoffnungslosigkeit ihrer Situation wirkte sie nicht so, als wolle sie sich ergeben.
»Das ist ja ’ne richtige Giftnudel.« Valamar schob sein Schwert in die Scheide zurück. Er hielt der Gefangenen seine Laterne vors Gesicht. Zum Erstaunen der Männer wirkte ihre Miene eher apathisch. Sevren und Valamar konnten in ihrem Gesicht weder Zorn noch Verzweiflung erkennen: Es zeigte überhaupt keine Emotion. Ihr Blick war leer; ihr Gesicht hätte aus Stein gemeißelt sein können, wäre da nicht ein ständiges nervöses Zucken gewesen. Es war ein unheimlicher Anblick.
»Karm steh uns bei!«, sagte Valamar. »Was haben wir denn da gefangen?«
»Nimm ihr mal den Sack ab«, sagte Sevren, »und schau hinein.«
Es gelang Valamar, die Hand des Mädchens zu öffnen und ihr den Sack zu entreißen, doch dazu musste er seine ganze Kraft aufwenden. Der Sack enthielt silberne Teller und Kelche. »Sie ist eine Diebin, daran besteht kein Zweifel.«
»Sprich, Mädel!«, rief Sevren. »Wo wolltest du damit hin?«
Das Mädchen sagte nichts, doch es setzte seinen vergeblichen Abwehrkampf gegen ihn fort. Valamar hob die Faust, als wolle er zuschlagen, doch es reagierte nicht. »Tu ihr nichts«, sagte Sevren. »Ihr hat schon jemand anderes etwas Böses angetan.«
»Was denn?«
»Schau dir ihre toten Augen an. Jemand hat sie verhext.«
»Dann hatte der Bettler recht?«, fragte Valamar. »Man hat ihr den Verstand genommen?«
»Oder ihn ausgeschaltet.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Das Mädchen fesseln und die Beute zurückgeben.«
»Und dann?«
»Wenn wir sie zur Wache mitnehmen, wird man sie auspeitschen oder etwas noch Schlimmeres antun«, sagte Sevren. Er musterte das schmutzige Gesicht des Mädchens. »Ich glaube zwar nicht, dass die Kleine gut auf uns zu sprechen ist, aber ich möchte etwas versuchen … Ich habe einen Freund, der sich eine Weile um sie kümmern könnte. Vielleicht erholt sie sich ja wieder.«
Nur zu zweit gelang es ihnen, die sich stumm wehrende Gefangene zu fesseln.
Nachdem sie das gestohlene Silber zurückgegeben hatten, schleppten sie das Mädchen zu Thamus’ Haus. Sevren überredete ihn, die Gefangene vorerst in einem kleinen Lagerraum unterzubringen und nach Anzeichen von Gesundung Ausschau zu halten. Danach nahmen er und Valamar ihren Streifengang wieder auf.
Valamar schüttelte sich, aber nicht wegen der Kälte. »Bei Karm, das war meine bisher ungewöhnlichste Nacht!«
»Ja.« Sevren nickte. »Ich bin mir sicher, dass die Kleine ein Opfer der Hexerei ist.«
»Aber wer könnte ihr einen solchen Bann auferlegen? Der Zauberer des Königs ist doch tot.«
»Ist er wirklich tot?«, fragte Sevren. »Er sah zwar ziemlich tot aus, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Er ist wirklich tot. Ich habe seine Überreste selbst in die Grube geworfen. Wenn du glaubst, dass er noch lebt, geh hin und schau nach.«
»Vielleicht werde ich es tun.«
Dar traf sich erst am Nachmittag nach dem Festmahl wieder mit den Matriarchinnen. Sie brachte ihre größte Sorge zur Sprache. »Als die Urkzimmuthi das Fathma zurückerlangten, schloss die Königin mit den Washavoki einen Vertrag. Unsere Söhne haben für sie getötet; dafür haben sie aufgehört, uns zu überfallen. Ich glaube, die Königin hat klug gehandelt, denn der Vertrag brachte unseren Sippen Frieden. Doch unsere Söhne erkauften ihn mit ihrem Leben, und da die Washavoki grausam sind, waren die Söhne gezwungen, grausame Untaten zu begehen. Wenn ein Washavoki einen Urkzimmuthi sieht, erinnert er sich an diese Untaten und hält uns für grausam. Außerdem behauptet er, dass wir Washavoki essen und Vergnügen am Töten haben.«
»Wie kann man nur so dumm sein?«, fragte Muth-mah.
»So ist ihr Charakter«, sagte Dar. »Als ich noch ein Washavoki war, habe auch ich diese Geschichten geglaubt. Ich weiß, dass es euch überrascht, doch so war es nun mal.«
»Wenn sie uns für bösartig halten, warum wollten sie dann, dass die Söhne für sie kämpfen?«
»Damit ihre Feinde sie fürchten. Der Vater des Großen
Washavoki war ein Gegner des Tötens, und dessen Vater ebenso. Als
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