Herrscherin des Lichts
nicht angreifen.
Du könntest ihn einfach hierlassen, und er wird ganz von selbst sterben. Davon erholt er sich nicht mehr. Sie schüttelte den Kopf, um den verlockenden Gedanken sofort wieder zu verwerfen. Sie hatte ihn schon einmal in dem Glauben zurückgelassen, er läge ohnehin im Sterben, und dann hatte er wie durch ein Wunder doch überlebt. Wenn sie dieselbe Dummheit jetzt wieder beging, wäre das gleichbedeutend mit einem dritten Bruch der Gäis.
Sie wischte das Messer an ihrer lederbekleideten Hüfte ab. Es kam ihr irgendwie falsch vor, entwürdigend, den Darkworlder mit einer Klinge zu töten, an der noch das Blut seines vorherigen Angreifers klebte. Er stöhnte leise. Sein Kopf kippte nach vorn, und er schwankte, als könne er sich nicht mehr länger auf den Beinen halten.
Ayla fing ihn reflexartig auf, wobei sie aufpasste, ihn nicht versehentlich mit dem Messer zu verletzen, und wunderte sich im nächsten Moment selbst darüber, weshalb sie so vorsichtig mit ihm umging, wo sie ihn doch am Ende ohnehin töten würde.
Kaum dass sie seine Haut berührte, wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie brauchte nicht einmal den inneren Blick einzusetzen, um zu fühlen, wie die grünen Funken ihrer Energie auf die Oberfläche ihres Körpers zustoben, den Kontakt zu seiner Lebenskraft suchend, sich mit ihr vereinigen wollend. Diese Erkenntnis erschütterte sie bis ins Mark. Es kostete sie all ihre Willensstärke, sich wieder von ihm zu lösen, gegen diese glühend heiße Anziehung anzukämpfen, die sie wie mit unsichtbaren Armen zu umschlingen und festzuhalten schien.
Der Darkworlder fiel zu Boden, seine Atemzüge wurden immer schwächer und flacher. Er öffnete die Augen, zuerst nur zu zwei schmalen Schlitzen, doch bei Aylas Anblick weiteten sie sich plötzlich. „Hör auf mit deinen Spielchen, Bestie, und töte mich endlich!“Diese Worte ließen sie eine Gänsehaut bekommen. Bestie? War es das, was er in ihr sah? Dann durchfuhr ein kurzer, kalter Schauer sie, als sie begriff. Er hielt sie für den Succubus. Was bedeutete …
„Hey!“ Eine menschliche Stimme hallte von den Tunnelwänden wider, und Ayla duckte sich sofort, ging in die Hocke und schlich langsam rückwärts. Der Mensch trug ein seltsames leuchtendes Gebilde auf dem Kopf, das es ihm ermöglichte, in der Dunkelheit seinen Weg zu finden. Als der Lichtschein auf Ayla fiel, blieb er stehen. Sie sah, wie sich sein Adamsapfel in seinem dürren Hals auf und nieder bewegte, als er schluckte. Er hatte Angst. Das sollte er auch.
„Du, bleib wo du bist!“, rief sie in seiner Sprache, und es dauerte einen Moment, bis er reagierte, als hätte er Schwierigkeiten, sie zu verstehen.
„Was zum Geier bist du denn?“ Er kam näher, die Augen zusammenkneifend.
Ayla ballte frustriert die Fäuste. Die Neugierde des Menschen war größer als seine Furcht, und das gefiel ihr nicht. „Es ist unwichtig, was ich bin. Keinen Schritt weiter!“
„Jetzt mach mal halblang, ich bin nur auf der Suche nach meinem Freund gewesen, okay?“ Er drehte den Kopf, und der Lichtstrahl fiel, der Bewegung folgend, auf den Darkworlder. „Ich lass ihn für fünf Minuten allein, und schon passiert so was.“
„Ich habe ihm nichts getan“, versicherte Ayla schnell, ehe sie sich überhaupt fragen konnte, warum sie es für nötig hielt, ihm das mitzuteilen. „Es war ein Succubus.“
Der Mensch beugte sich nach unten, um den Darkworlder an einem Arm zu fassen und hochzuziehen. Er war stark, stärker, als Ayla es einem Menschen zugetraut hätte. „So, so. Tolle Wahl, um zum Schuss zu kommen, Malachi.“
Malachi? Ayla legte eine Hand vor den Mund und befühlte mit den Fingerspitzen ihre Lippen, die den Ton nachbildeten. Was für ein hässliches Geräusch. Malachi.
„He, du. Hilf mir, ihn zu einem Heiler zu bringen.“ Der Mann hielt in seinen Bemühungen, den Darkworlder auf die Füße zu ziehen, inne und sah Ayla auffordernd an. „Ja, dich meine ich, geflügeltes Etwas. Fledermausmädchen? Los, komm in Wallung.“
„Ich kann nicht.“ Töte sie! Töte sie beide, auf der Stelle! schrie eine innere Stimme verzweifelt. Aber die Gelegenheit war vertan, und erneut hatte sie die Gäis gebrochen. Trotzdem konnte sie es unmöglich riskieren, dabei gesehen zu werden, wie sie zwei Darkworldern half, zu einem Heiler zu gelangen, ganz gleich, wie oft sie ihren Schwur noch ignorierte.
Der Mensch seufzte und ließ den Darkworlder vorsichtig wieder zu Boden sinken.
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