Treffen mit einem komischen Typen bevor, obwohl ich in Gedanken eigentlich bei dir bin – mit einem Sicherheitsabstand, der mich vor Verletzungen schützt, mich aber andererseits eine ungeheure Ohnmacht und Leere spüren lässt.
So, das war die ganze (vorerst halbe) Wahrheit. Ich weiß nicht mehr weiter und gehe jetzt noch auf einen Berti-Tee nach unten, um mich von Nina und ihrem Geschwafel berieseln zu lassen. Hoffentlich macht mich ihr perfektes Familienleben nicht noch einsamer!
Ich schicke dir einen sanften Gutenachtkuss auf die Wange, mein Lieber.
Sara
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Sa 12. November 07:30
Betreff: Nägel mit Köpfen und Herzen
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
bist Du schon mal am Samstagmorgen um 5.30 Uhr aufgewacht, hast Dir in einem relativ kühlen Zimmer die Sportsachen angezogen und bist dann losgejoggt?
Ich ja. Heute.
Draußen war es beißend kalt, aber mir war das egal. Ich wollte und musste heute früh den Kopf frei bekommen, denn ich habe das untrügliche Gefühl, meine Brieffreundschaft mit einer mir sehr, sehr sympathischen Dame geht in eine neue, ich möchte anzüglich sagen: heiße Phase! Ich spüre es ganz genau und darf den Moment nicht verpatzen, muss am Ball bleiben.
Deswegen also das morgendliche Jogging. Zu meiner langen Hose und dem langen Hemd brauche ich heute das erste Mal in diesem Winter auch meine Handschuhe und eine Mütze. Also los. Die Glieder sind noch etwas steif, aber ich freue mich.
Aber kaum geht die Haustür auf, bereue ich meinen Entschluss. Draußen ist es noch kälter, als ich dachte. Es fühlt sich an, als würde man sich morgens nach dem Aufstehen noch etwas in den Kühlschrank legen. Aber was soll’s. Als Läufer kennt man solche Momente und weiß, nach ein paar Minuten geht das vorbei, und danach wird es noch schöner als sonst.
Nach fünf Minuten komme ich von meiner Wohnung aus an die Isar und zur beliebten Laufstrecke bei den hiesigen Eingeborenen. Heute lag noch leichter Raureif auf dem Gras. Es war kaum ein Mensch unterwegs, und beim Laufen sind mir nur drei Leute begegnet.
Ich liebe das Gefühl, alleine durch eine langsam erwachende Stadt zu laufen. Es gibt mir irgendwie Mut, macht mich stark. Im Gegensatz dazu hasse ich es, irgendwohin für längere Zeit aufzubrechen. Zu einem Seminar z.B., das ein paar Tage geht. Selbst wenn ich mich auf Urlaub freue, habe ich beim Packen das Gefühl von Verlust. Ich bin dann ganz deprimiert und möchte mich am liebsten unter einer Decke verstecken und doch nicht fahren. So geht es mir jedes Mal beim Verlassen meiner Wohnung – zumindest wenn ich über drei oder vier Tage verreise. Ich habe schon andere Menschen gefragt, ob es ihnen ähnlich geht, aber dieses Gefühl konnte bisher keiner nachvollziehen.
Aber ich schweife ab. Heute früh ging es mir jedenfalls gut. Dein Brief hat mich aufgebaut und – wie gesagt – mir gleichzeitig gezeigt: jetzt oder nie.
Mit einem klaren Kopf und dem geduschten, vom Laufen gestählten Körper stelle ich daher nun fest: Wir beide, Du und ich, wir sollten ernsthaft ins Auge fassen, ob wir uns nicht treffen wollen. Ohne doppelten Chat-Boden, sondern im echten Leben. (Und für diese Erkenntnis ist er joggen gegangen?, fragst Du Dich jetzt wahrscheinlich.)
Ich würde jedenfalls liebend gerne diese Frau kennenlernen, die seit Monaten in meinem Kopf herumschwirrt, meinen Tagesablauf durcheinanderbringt und die sich jetzt offenbar mit einem idiotischen Kollegen ihrer Schwester treffen will, wo ich doch hier bin und warte.
Ich gebe zu, auch ich verspüre so etwas wie Eifersucht.
Es ist also an der Zeit zu handeln. Und nach Durchsicht meiner beruflichen Termine (einige) und privaten Verabredungen (kaum welche) kommt hier mein Vorschlag: Wir treffen uns entweder ganz spontan das nächste Wochenende oder aber strecken die Vorfreude noch etwas und treffen uns am Wochenende vom 07. bis 08. Januar. Wenn Du nach München kommen magst, könnten wir auch noch weiter zum Skifahren. Oder ist vielleicht sogar Sylvester eine Option?
Was meinst Du? Nägel mit Köpfen?
Glasklare Kopfgrüße
Dein Berti
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Sa 12. November 17:12
Betreff: AW : Nägel mit Köpfen und Herzen
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebster Berti,
nun bin ich platt. Mein Brieffreund schlägt mir ein Date vor. Und was für eins!
Und ich? Sitze nur da und starre auf den Bildschirm, halb beglückt, halb verschreckt