Patienten immer suggeriere, ganz genau zu wissen, wo es langgeht.
Genau diese vermeintlich kompetente Psychologin in mir predigt beständig: «Sei vorsichtig mit diesem Fremden am Ende einer bloß virtuellen Leine. Du kennst ihn nicht!» Die Romantikerin in mir, die ein Faible für Spirituelles hat, hält dagegen: «Hör einfach auf dein Herz! Und wenn dein Herz dir sagt, du kannst diesem Berti vertrauen, dann tue es auch!»
Die einsame Sara aber, die nachts wach liegt und wieder und wieder die Vergangenheit durchspielt und sie dadurch auf die Gegenwart projiziert, traut sich gar nicht, in die Zukunft zu schauen. Aus Angst, dass da rein gar nichts ist.
Ach Berti, bitte verzeih mir meine Sentimentalitäten. Ich glaube, die Tatsache, dass du gerade so unendlich weit weg bist, lässt mich überdeutlich spüren, wie präsent du in meinem Herzen und wie wenig du es in meinem Leben bist.
Aber lass dich nicht herunterziehen von meinen trüben Novembergedanken. Genieße deine Oase des Lichts und der Wärme!
Sehnsüchtige Grüße
Sara
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So 04. Dezember 19:32
Betreff: Beichte
Von:
[email protected] An:
[email protected] Hallo Berti,
wie die Betreffzeile schon ankündigt, muss ich dir was beichten. Nämlich, dass ich heute ein kleines Date hatte. Ja, das Date, das du mir eigentlich «verboten» hast.
Wie auch immer, Jörg und ich sind einmal um die Alster spaziert und haben einen Kaffee getrunken. Danach haben wir uns höflich voneinander verabschiedet. Ich wollte es dich wissen lassen, um mir hinterher nicht vorwerfen zu lassen, ich hätte es bewusst verschwiegen.
Aber vielleicht interessiert dich dieser unbedeutende Sachverhalt ja ohnehin nicht, da du längst einer zierlichen (oder minderjährigen) Thailänderin verfallen bist. Vielleicht schwärmst du ihr bereits von deinem magischen Balkon vor, wohin du sie eines baldigen Tages entführen wirst und …
Eisige Grüße
Sara
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So 04. Dezember 21:09
Betreff: Beichte 2
Von:
[email protected] An:
[email protected] Hallo noch mal,
mein schlechtes Gewissen versaut mir gerade den Tatort. Also schreibe ich dir lieber noch mal.
Das Komische ist, ich habe ein schlechtes Gewissen, obwohl ich keines zu haben bräuchte! Aber ich fühle mich fast ein bisschen so, als wäre ich heute fremdgegangen. Dabei habe ich weder einen festen Freund, noch bin ich Jörg irgendwie nähergekommen (außer bei der höflichen Begrüßung und der knappen Verabschiedung).
Ich stelle mir trotzdem die ganze Zeit vor, wie du meine «Beichte» liest und danach nichts Besseres zu tun hast, als dich mit der nächstbesten Thailänderin zu vergnügen. Die Rache hat bestimmt Rehaugen und Größe 32. Das macht mich wahnsinnig, und das obwohl ich kein bisschen eifersüchtig bin!
Oder bin ich es doch?
Ach, keine Ahnung. Ich fühle mich einfach nur ziemlich mies. Draußen ist es nass, kalt und dunkel. Du bist weit weg, und ich werde bald 40 und date Männer wie eine 20-Jährige. Kennst du die Szene aus «Harry und Sally», in der die beiden versehentlich ihre Freunde miteinander verkuppeln und diese heilfroh sind, weil sie nun «nicht mehr da rausmüssen»? Raus in diese Singlehölle, in der es zwar ein Meer von Männern gibt, die auch nicht gerade aussehen wie der Teufel, aber doch stets die falsche Frisur, die falsche Jeans, den falschen Gang, die falsche Stimme oder den falschen Geruch haben. Es ist zum Heulen. Und genau das werde ich jetzt ein bisschen tun – heulen, um die Vergangenheit mit einem Mann, der erst so richtig schien und doch so falsch war, und träumen von einer Zukunft mit dem richtig Richtigen. Wenn es ihn denn gibt.
Selbstmitleidige Grüße
S.
PS . Wegen Jörg brauchst du dir jedenfalls keine Gedanken zu machen. Er ist sowohl innen als auch außen nicht der Richtige. Nicht mal für eine Nacht. Ehrlich!
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Mo, 05. Dezember 14:11
Betreff: Sonnige Urlaubsgrüße von Koh Tao
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
ich sitze in rot-blauen Flip-Flops in einer geräumigen Bambushütte, die gleichzeitig als Reisebüro, Verkaufsladen und Internet-Café dient. Vor mir steht ein Mangosaft, und ich habe gerade Deine Mails gelesen. Neben mir an den Computern hocken ein amerikanisches Pärchen, ein ernsthafter Grieche und eine riesengroße Italienerin (wer hat gesagt, die Italienerinnen seien klein?) und bearbeiten ihre Computer. Die beiden