Es sah teuer und nobel aus, und ich beschloss, dort würde ich einziehen. Ich fragte durchgeschwitzt an der Lobby nach dem günstigsten Zimmer – und sitze jetzt in einem, für das ich pro Nacht 240 Euro hinblättere! Ich habe noch nie so viel Geld für ein Hotelzimmer ausgegeben. Und das in einem Land, in dem sonst alles so unfassbar günstig ist, dass man schon lachen muss. Ich habe die letzten Nächte 12,50 Euro für die Unterkunft bezahlt. Hey, aber jetzt ist mir schon alles egal. Ich versuche sogar, die Situation zu genießen und das Beste draus zu machen. Beispielsweise benutze ich den freien Internetzugang in der luxuriösen Halle des Hotels. Ich fühle mich hier noch mehr wie ein Fremder als draußen auf der Straße. Und damit ich mich nicht mehr ganz so fremd fühle, musste ich Dir das jetzt schnell alles schreiben. Ich möchte nämlich nicht mehr kämpfen und hetzen. Ich möchte Dich anrufen und Dich bitten herzukommen. Ich möchte Dich mit auf mein Hotelzimmer nehmen und alles vergessen und einen Neuanfang machen.
Wo bist Du?
Ich nehme meine letzte Kraft zusammen und gehe gleich noch einmal raus. Mal sehen, was sich ergibt. Vielleicht später mehr, vielleicht bin ich aber auch von den ganzen Strapazen so müde, dass ich in der thailändischen Nacht vor Müdigkeit gleich umkippe und mich ein netter Portier zurück auf mein Zimmer tragen muss.
Ich denke an Dich. Du bist meine letzte Kraftquelle.
Dein heimatloser Weltenbummler
Berti
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Do 14. Dezember 17:48
Betreff: AW : noch immer in Bangkok
Von:
[email protected] An:
[email protected] Hallo heimatloser Weltenbummler,
schon seltsam, da denke ich die ganze Zeit, wie schön es wäre, dem norddeutschen Winter zu entkommen und mit dir durchs heiße Bangkok zu schlendern. Und du sehnst dich danach, einfach nur nach Hause in die Kälte zu kommen.
Aber ich kenne das. Wenn ich verreise, will ich anfangs nie wieder in meinen Alltag zurück. Aber spätestens nach einer Woche beschleicht mich dann eine Mischung aus Heimweh und Melancholie. So als sei man zwischen den Welten gefangen und würde weder in die eine noch in die andere gehören.
Sitzt du denn immer noch fest? Und falls ja: Kann ich irgendetwas tun? (Außer an dich zu denken, was ich selbst dann tue, wenn ich es mir verbiete.)
Vielleicht kann ich dir die Vorfreude auf deine einsame Wohnung etwas versüßen, wenn ich dir sage, dass dort ein verspätetes Geburtstagsgeschenk auf dich wartet. Keine Sorge, es ist kein Päckchen, das Petzi hätte annehmen müssen. Es ist ein kleiner Umschlag und müsste in jeden Briefkasten passen.
Und um der Sache mit dem Pass noch etwas Positives abzugewinnen: Du steckst im übertragenen Sinne ja nicht nur in Asien fest, sondern auch in einer Extremsituation. Solche Begebenheiten laden einen Menschen ein, sich selbst besser kennenzulernen. Das zumindest würde ich einem Patienten erklären und ihn dazu ermuntern, darin einen tieferen Sinn zu sehen. Welcher das in deinem Fall ist, wirst du sicher noch herausfinden.
Ich sollte nun endlich Feierabend machen, bevor ich dich mit weiteren esoterischen Ansätzen aus meiner aktuellen Einschlaflektüre langweile.
Heute geht es außerdem wieder auf den Weihnachtsmarkt. Aber diesmal mit meinen spaßbefreiten Kollegen. Und glaub mir, ich habe überhaupt keine Lust darauf. Aber immer noch besser, als allein zu Hause vor dem Fernseher zu hängen und sich mit Trost-Plätzchen vollzustopfen!
Ich drücke die Daumen, dass du bald wieder in Freiheit bist, und hoffe, du entwickelst in deiner Verzweiflung keinen größeren Appetit auf blutjunge Thailänderinnen …
Eine feste Umarmung
Sara
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Do 15. Dezember 07:30
Betreff: müde, müde, müde
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
tut mir leid, ich bin gestern zwar nicht gleich vor der Tür meines Hotels eingeschlafen, aber gleich nach meiner Rückkehr aus dem nächtlichen Bangkok. Die Umgebung hier ist schräg. Eine Mischung aus Diplomatenviertel und Ghetto. Besser kann ich es nicht beschreiben. Mein Spaziergang war ansonsten nicht besonders aufregend. In eins der umliegenden Restaurants habe ich mich irgendwie nicht getraut. War mir alles unheimlich. Mit meinen Gedanken war ich ohnehin schon auf der Heimreise.
Die Ausländerbehörde liegt gleich um die Ecke und macht um 9 Uhr auf. Deshalb bin ich so früh auf, denn ich will gleich als Erster vor der Tür stehen.