[email protected] An:
[email protected] Mein Liebster,
bereits gestern, gleich nach Ankunft deiner letzten Bangkok-Nachricht, habe ich dir in einer Mail mein ganzes Herz ausgeschüttet und dabei fürchterlich geweint. Ich wollte die Zeilen schon losschicken, hatte sie aber zunächst als Entwurf gespeichert und dann versehentlich gelöscht. Arrrgh! So was ist mir noch nie passiert! Trotzdem habe ich das plötzlich als Zeichen gesehen und mich entschlossen, sie nicht abzuschicken. Und glaube mir, meine Worte hätten definitiv verhindert, dass du ein Jahr lang vor der Einsamkeit flüchtest …
Danach hatte ich eine schlafarme Nacht, die um halb 6 gänzlich beendet war, weil ich mich nur noch im Bett hin und her gewälzt habe. Ich dachte immer, ich folge dem schon erwähnten
flow
, wenn ich die Dinge dem Zufall überlasse. So nach dem Motto: In meinem Weltbild fügt sich alles wie von allein. Auch ein Grund, weshalb ich mich innerlich gegen jede Art von Verkuppelungsversuchen sperre oder auch gegen Partnerbörsen im Internet. (Wie das schon klingt!) Ich bin einfach viel zu romantisch veranlagt, als dass ich an das arrangierte Glück glauben könnte.
Aber was ist romantischer als eine Flaschenpost, die auf wundersame Weise von einem einsamen Herzen zu einem anderen gelangt? Und was wäre das für ein grausames Schicksal, wenn die Einsamkeit dieser beiden Herzen nach einer Begegnung nur noch größer werden würde?
Man kann das Glück nicht erzwingen. Man kann aber sehr wohl Verantwortung für sein Herz und sein ganzes Leben übernehmen und dem Glück zumindest auf die Sprünge helfen. Und auch wenn mich jede deiner Fragen mindestens genauso quält wie dich, so habe ich heute Nacht auch einen Schwur abgelegt: Ab sofort werde ich nicht auf irgendeinen
flow
lauern oder mein Seelenheil von einer Sternschnuppe abhängig machen. Nein, ab sofort werde ich meinem Herzen folgen, auf meine innere Stimme hören und meiner Intuition vertrauen. Ich will endlich aufhören, halbherzig und blutleer im Stillen zu leiden.
Dein Schwur hat in mir also einen Impuls ausgelöst. Auch ich will mein Leben wieder in die Hand nehmen (oder vielleicht überhaupt das erste Mal in die Hand nehmen). Die Reise nach NY wird eine letzte Reise aus meiner Vergangenheit sein. Ich werde mich um Mitternacht ein für alle Mal von ihr verabschieden und in ein neues Jahr starten, in eine neue Zukunft. Ich will die Dinge angehen. Ich werde endlich meine Zusatzausbildung zur Heilpraktikerin machen. Dann kann ich noch im selben Jahr den Schritt in die Selbständigkeit wagen und den Menschen endlich so helfen, wie
ich
es für richtig halte und nicht, wie es die engstirnigen, schulmedizinischen Direktiven meines Arbeitgebers vorgeben.
Und ich werde Berti treffen – wenn du möchtest gleich im Anschluss an deinen Skiurlaub. Am liebsten natürlich in Boltenhagen. Dort, wo alles mit der Flaschenpost seinen magischen Anfang nahm …
Und wenn es auch das Ende sein könnte, so wäre dies ebenso ein Anfang von etwas Neuem. So oder so wird es einen Sinn haben. Und ich will verdammt noch mal herausfinden, welche Art Sinn das ist.
Fühle dich also mehr als herzlich willkommen zu Hause. Ich freue mich wie Bolle, dass du mir wieder halbwegs nahe bist, und zähle ab jetzt die Tage und noch viel mehr die Nächte bis zu unserer gefürchteten, aber lang ersehnten ersten Begegnung.
100 Küsse
Deine Sara
PS . Berti Unbekannt ist weggeschmolzen …
***
Mi 14. Dezember 21:24
Betreff: noch immer in Bangkok
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
Du kannst Dir nicht vorstellen, was mir heute passiert ist. Ich würde es selbst nicht glauben. Das Ergebnis ist jedenfalls, dass ich immer noch in Thailand bin und nicht weiß, wann ich hier wegkomme. Derzeit sitze ich in einem noblen Hotel am Flughafen und warte.
Aber von Anfang an: Heute früh habe ich mich tatsächlich auf Deutschland gefreut (ja, doch), bin zum Flughafen gefahren und habe meine Unterlagen hervorgesucht. Alles war da, alles, BIS AUF MEINEN REISEPASS ! Er war weg, nicht zu finden. Ich hatte ihn in einer blauen Mappe, in der alle meine wichtigen Unterlagen waren. Und alle anderen Unterlagen waren auch da, nur der Reisepass war weg.
Kannst Du Dir vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man sich auf zu Hause freut – und dann das?
Mein Herz schlug bis zum Hals (und tut es noch immer), und ich habe es erst nicht glauben