Herz aus Eis
Haar offen trug. Aufgrund ihrer eher brüsken Art hatte er sich die klassische nüchterne Krankenschwester vorgestellt.
Er hatte sich scheinbar geirrt.
Seine Schwester Hatchet war blond, zierlich, klein … hübsch. Sie hatte also gar nichts von einer alten Streitaxt an sich.
Nach wunderbar erholsamen Stunden, die sie mit Lesen und Dösen verbracht hatte, zog Elizabeth sich in ihrem Zimmerfür das Dinner an und kämpfte dabei eine innere Schlacht mit sich selbst.
Warum war sie überhaupt hier? Kristian brauchte keine Krankenschwester, und ganz bestimmt brauchte er nicht die Rund-um-die-Uhr-Aufsicht, die ihre Agentur bisher gestellt hatte. Durfte sie überhaupt hierbleiben? War es nicht unethisch, Cosimas Geld zu nehmen für etwas, das nicht nötig war? Kristian ließ sie ja auch nichts tun. Er wollte die Kontrolle behalten – wogegen sie nichts hatte, wenn er die Motivation wirklich allein in sich fand. Mit einem Sporttrainer und einem Therapeuten, der ihm dabei half, den Verlust seiner Sehkraft zu bewältigen, war ihm viel besser gedient als mit jemandem, der sich mit Gehirnerschütterungen, Infektionen und Wunden auskannte.
Und um ihren Konflikt noch zu verstärken, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, was sie zu diesem Dinner anziehen sollte!
Sie, die in Fünfsternehotels auf der ganzen Welt gewohnt hatte, verspürte eine leichte Panik in sich aufsteigen, weil sie nicht wusste, was sie zu einem Dinner in einem abgeschiedenen Gebirgskloster tragen sollte.
Sie holte sämtliche Kleidungsstücke aus ihrem Schrank, musterte jedes Teil kritisch und verwarf es. Ein weit schwingender, dunkelblauer Baumwollrock. Zu schulmädchenhaft. Ein gerader brauner Gabardinerock. Zu langweilig. Ein grauer Rock, mit Samtsaum abgesetzt.
Sie seufzte schwer. Die Sachen waren alle so schrecklich praktisch und patent. Aber war das nicht genau das Bild, das sie bieten wollte? Ernst, seriös, fähig. Schließlich war das hier kein Urlaub.
Sie nahm den grauen Rock vom Bügel und suchte die passende dunkelgraue Seidenbluse dazu hervor. Fertig angezogen, stellte sie sich vor den Spiegel. Uh! Auf jeden Fall war das nicht hübsch!
Und warum machte sie sich überhaupt solche Gedanken über ihre Kleidung? Sie tat ja gerade so, als würde sie sich fürein romantisches Dinner zu zweit anziehen anstatt für das Abendessen mit einem blinden Patienten.
In ihrem Magen begann es zu flattern. Was absolut unangebracht war. Elizabeth war hier, um eine Aufgabe zu erledigen. Rein medizinisch. Ein Geschäft.
Und doch, als sie sich an Kristians kleines Lächeln erinnerte, heute Mittag am Pool, an das wissende ‚Hatten wir nicht eine Abmachung?‘, da begann es prompt wieder in ihrem Magen zu rumoren. Auf dieses Rumoren folgte jetzt auch noch ein erwartungsvoller Schauer.
Sie war nervös. Aufgeregt und nervös wie vor einer Verabredung. Was ebenfalls unangebracht war. Sie hatte Kristians Pflege übernommen, wurde von seiner Freundin dafür bezahlt, sich um ihn zu kümmern. Es wäre höchst unprofessionell, ganz zu schweigen davon, wie unmoralisch es wäre, in Kristian etwas anderes als ihren Patienten zu sehen.
Ein Patient, ermahnte sie sich noch einmal.
Was die Schmetterlinge in ihrem Bauch jedoch nicht beruhigte.
Unwirsch strich sie sich mit der Bürste durchs Haar. Kristian sollte sie nicht im Geringsten interessieren, selbst wenn er nicht ihr Patient und alleinstehend wäre. Es war absurd, ihn in diesem idealisierten romantischen Licht zu sehen. Elizabeth war schließlich zwei Jahre mit einem Griechen verheiratet gewesen. Die Ehe war von Anfang an eine Katastrophe. Zwei Jahre Ehe und sieben Jahre, um darüber hinwegzukommen.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit vor fast zehn Jahren, als sie als die nächste vielversprechende American Beauty offiziell in die Gesellschaft eingeführt wurde. Eine junge, schöne und naive Debütantin, die, unerfahren wie sie war, alles glaubte, was man ihr erzählte. Es dauerte volle drei Jahre, bevor sie begriff, dass man ihren Namen und ihren Reichtum bewunderte, nicht den Menschen, der sie war.
„Keine griechischen Millionäre mehr“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu. „Keine Männer mehr, die aus falschen Gründenan dir interessiert sind.“
Außerdem hatte sie in ihrer Ehe mit einem Griechen gelernt, dass mediterrane Männer Frauen mit üppiger Oberweite, Wespentaillen und verführerischen Hinterteilen bevorzugten – Attribute, die sie mit ihrer grazilen Figur nie besitzen würde.
Das lange
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