Herz aus Eis
Haar offen über ihren Rücken fließend, machte Elizabeth sich auf den Weg zur Bibliothek. Sie wusste nicht, wo das Dinner stattfinden würde, da das Esszimmer inzwischen zu einem Trainingsraum umfunktioniert worden war.
Sei nett, umgänglich, aufmunternd, zuversichtlich und bestimmt, ermahnte sie sich auf dem Weg dorthin. Weiter durfte es nicht gehen.
Kristian kam kurz nach ihr in der Bibliothek an. Er trug eine schwarze Hose und ein weites Leinenhemd. Das schwarze Haar hatte er sich zurückgekämmt, was die blauen Augen nur noch eindringlicher wirken ließ.
Er sieht ganz und gar nicht zufrieden aus, dachte sie, als er in den Raum rollte. „Stimmt etwas nicht?“ Sie war nahe der Tür stehen geblieben, weil sie nicht wusste, wohin es zum Essen gehen sollte. Sich zu setzen hatte sie nicht gewagt, schließlich war dieser Raum Kristians Refugium, hier verbrachte er den Großteil seiner Zeit.
Er verzog das Gesicht. „Jetzt, da ich unbedingt wieder laufen will, hasse ich es, an diesen Stuhl gefesselt zu sein.“
„Noch können Sie nicht auf den Rollstuhl verzichten. Obwohl … ich gehe jede Wette ein, dass Sie es versucht haben“, vermutete sie.
„Ich hatte mir eingebildet, weil ich aufgestanden bin, dass ich auch schon wieder gehen kann.“
„Sie werden gehen können. Bei Ihrer Entschlossenheit wahrscheinlich früher, als Sie denken. Aber es braucht seine Zeit.“
Pano erschien, um sie zu Tisch zu bitten. Sie folgten ihm durch die Halle in einen großen Raum mit einer hohen Decke,auf der handgemalte Szenen aus dem Neuen Testament in kräftigem Rot, Blau, Grün und Gold zu sehen waren. An den Stellen, an denen die Farbe verblasst und der Putz abgeblättert war, schimmerten schwere braune Trägerbalken durch.
Den Boden bedeckte ein tiefroter Teppich. In der Mitte des Raumes stand ein antiker Tisch, gedeckt mit kobaltblauen Schalen. Dicke weiße Kerzen in Haltern an den Wänden warfen einen flackernden Schein auf das rustikale Geschirr.
„Dieses Zimmer ist wunderschön.“ Elizabeth kam sich plötzlich schrecklich albern vor in ihrem grauen Aufzug. Sie hätte etwas Farbenfrohes, Fließendes anziehen sollen. Selbst Leinenhosen wären passender gewesen. „Die Farben und die Malereien sind beeindruckend. Das ist die Originaldecke, nicht wahr?“
„Ich versuche, sie zu erhalten.“
„Ist das Kloster sehr alt?“
„Der Turm wurde bereits im achtzehnten Jahrhundert gebaut, während das Klostergebäude selbst erst ab 1802 bewohnt wurde.“ Nach einer Pause fügte er leise hinzu: „Ich kann die Decke, die Balken und die Mauern zwar nicht sehen, aber ich fühle sie.“
„Das ist gut.“ Ihr Herz zog sich zusammen. Sie konnte verstehen, warum Kristian dieses alte Gemäuer liebte. Die Atmosphäre hier war unglaublich. Dennoch fürchtete sie, dass er wegen der abgeschiedenen Lage nicht genügend Kontakt zur Außenwelt hatte. Er brauchte Stimulation, brauchte die Interaktion mit anderen Menschen. Er brauchte … ein Leben.
Er befindet sich noch immer im Genesungsprozess, rief sie sich in Erinnerung, während sie sich auf den Stuhl ihm gegenüber setzte. Erst vor einem Jahr hatte er seinen Bruder, seinen Cousin und mehrere Freunde in einer Lawine verloren. Er selbst wäre bei der Suche nach Überlebenden mit dem Hubschrauber fast ums Leben gekommen. Wenn sie darüber nachdachte, wie viel er an einem einzigen Tag verloren hatte, erschauerte sie.
Die Haushälterin trug das Essen auf, und Pano erschien an Kristians Seite, um ihm zu helfen. Kristian scheuchte ihn fort.
„Wir kommen allein zurecht“, sagte er und tastete nach der Weinflasche. Er hielt die Flasche leicht schräg, sodass Elizabeth das Etikett lesen konnte. „Ist es Ihnen erlaubt, ein Glas Wein zu trinken, Schwester Hatchet?“
Er neckte sie. Und im Moment sah er so jungenhaft übermütig aus, dass all ihre Verteidigungsmauern bröckelten.
„Ein Glas wird wohl nicht schaden“, antwortete sie vorsichtig.
Lachend streckte er den Arm aus und suchte nach ihrem Glas, legte den Flaschenhals an den Rand, schenkte sehr langsam und bedacht ein und lauschte auf das Geräusch des fließenden Weines. „Zu viel? Zu wenig?“
„Genau richtig.“
Dann füllte er sein eigenes Glas und fand einen Platz, um die Flasche abzusetzen. Während des Mahls erwies Kristian sich als aufmerksamer Unterhalter. Er stellte Elizabeth alle möglichen Fragen nach ihrer Arbeit, ihren Reisen, ihren Griechischkenntnissen.
„Ich habe eine längere Zeit in Griechenland
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