Herz aus Eis
tiefe Kluft zwischen den Fentons und den Taggerts, und sie war überzeugt, daß Kane nie wirklich glücklich sein konnte, ehe er sich von einem Trauma befreit hatte, das ihn offenbar seit seiner Jugendzeit belastete.
In der darauffolgenden Nacht schreckte Houston aus dem Schlaf hoch und saß schweißgebadet in ihrem Bett. Sie spürte, daß das Leben ihrer Schwester in Gefahr war. Sie mußte an eine Geschichte denken, die ihrem Gedächtnis längst entfallen wäre, wenn sie ihre Mutter nicht so oft erzählt hätte: Sie hatte als Sechsjährige eines Nachmittags die beste Teekanne ihrer Mutter plötzlich fallen lassen und losgeheult, daß Blair verletzt sei. Sie hatten Blair schließlich am Rand einer Schlucht gefunden, bewußtlos und mit einem gebrochenen Arm neben einem Baum, von dem sie gestürzt war. Und Blair hatte an diesem Nachmittag nur zum Tanzunterricht gehen wollen.
Doch diese seltsame, übersinnliche Verbindung zwischen den Zwillingsschwestern schien seither abgerissen zu sein — bis zu dieser Nacht. Kane rief Leander an und hielt dann Houston zwei Stunden in seinen Armen, bis ihr Schüttelfrost sich endlich legte. Irgendwie spürte Houston, daß die Gefahr nun gebannt war, und fiel in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Tag kam Blair in Houstons Haus, verbrachte dort den Nachmittag und erzählte ihr, was tatsächlich ihr Leben in Gefahr gebracht hatte.
Vier Tage später platzte dann Zachary Younger plötzlich in ihr Leben hinein. Die Taggerts wollten sich gerade zum Mittagessen an den Tisch setzen, als ein Junge, von einem Lakai verfolgt, ins Eßzimmer stürmte und schrie, er habe gehört, daß Kane sein Vater sei und daß er bereits einen habe und nicht noch einen zweiten haben wolle. Und ehe er Luft holen konnte, war er schon wieder weg.
Alle standen wie gelähmt am Tisch, nur Kane nicht. Er setzte sich und fragte das Serviermädchen, was es denn heute mittag für eine Suppe gäbe.
»Kane, ich denke, du solltest ihm nachgehen«, sagte Houston.
»Weshalb?«
»Um mit ihm zu reden. Ich glaube, es hat ihm das Herz gebrochen, als er erfahren mußte, daß der Mann, den er für seinen Vater hielt, nicht sein Vater gewesen ist.«
»Pams Mann war der Vater des Jungen, soweit ich das beurteilen kann. Und ich habe ihm ganz gewiß nichts anderes erzählt.«
»Vielleicht solltest du das dem Kind erklären.«
»Ich weiß nicht, wie man mit Kindern redet.«
Houston blickte ihn an.
»Verdammt! Wenn das so weitergeht, Frau, bin ich in einem Jahr bankrott, weil ich meine kostbare Zeit für Nichtigkeiten opfern mußte, die du ja für so wichtig hältst!«
Als er zur Tür ging, berührte Houston ihn am Arm. »Kane, sag ihm nicht, daß du ihm etwas kaufen willst. Sage ihm die Wahrheit und lade ihn ein, damit er seinen Vetter Ian kennenlernen kann.«
»Warum soll ich ihm nicht gleich sagen, daß er hier wohnen kann, damit er dir hilft, mich von der Arbeit abzuhalten?« Er ging aus der Tür und murmelte: »Nicht mal zum Essen kommt man mehr.«
Kane ließ sich Zeit, dem Jungen nachzugehen, doch Zach bewegte sich so langsam der Haustür zu, daß Kane ihn mühelos einholte. »Spielst du gern Baseball?« fragte er den Jungen.
Zach drehte sich um. Sein hübsches Gesicht war vor Wut verzerrt: »Ja; aber nicht mit dir!«
Kane war sichtlich erschrocken über die zornige Reaktion des Jungen. »Du hast keinen Grund, auf mich wütend zu sein. Nach allem, was ich hörte, war dein Vater ein guter Mann, und ich habe nie das Gegenteil behauptet.«
»Die Leute in dieser blöden Stadt sagen, daß du mein Vater bist.«
»Das meinen sie nur im übertragenen Sinn. Ich habe bis vor ein paar Wochen noch gar nichts von dir gewußt. Magst du Whisky?«
»Whisky? Ich . . . ich weiß nicht. Ich habe noch keinen getrunken.«
»Dann komm wieder herein. Wir trinken zusammen Whisky, und ich werde dir erklären, wie das ist mit den Vätern und Müttern und den hübschen Mädchen.«
Houston verbrachte einen unruhigen Nachmittag, weil Kane mit seinem Sohn stundenlang hinter verschlossener Tür in seinem Büro zusammensaß. Und als Zachary gegen Abend wieder ging, blickte er Houston durch gesenkte Wimpern hindurch an, bekam ein rotes Gesicht und schnalzte mit der Zunge.
»Zachary hat sich etwas seltsam benommen beim Abschied«, sagte sie zu Kane.
Kane betrachtete seine Fingernägel. »Ich habe ihm erklärt, wie man Babys macht. Vermutlich bin ich dabei zu sehr ins Detail gegangen.«
Houston blickte ihn mit offenem Mund an.
Kane nahm sich
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