Herz aus Eis
vermutlich angenommen, er sei ganz von selbst auf die Welt gekommen.«
Houston saß im warmen Wasser der Badewanne und erzählte die Geschichte von Charity Taggert. Sie versuchte, sie ganz sachlich und nüchtern wiederzugeben, sie nicht einzufärben mit ihren eigenen Gefühlen.
Pam hatte sich einen Schemel aus Messingdraht mit rosa Polster an die Wanne geholt und hörte aufmerksam zu. »Ich hatte keine Ahnung davon«, sagte Pam, als Houston mit ihrer Geschichte zu Ende war. »Du sagst, daß alles, was mein Vater besitzt, dem Gesetz nach Kane gehört. Kein Wunder, daß er so wütend ist auf meinen Vater, und kein Wunder, daß mein Vater schlottert vor Angst. Aber die hast Kane doch nicht verlassen, weil er nicht als armes Kind auf die Welt kam, nicht wahr? Was ist da noch gewesen?«
Es war schon schwieriger, von sich selbst zu erzählen — zugeben zu müssen, daß sie nur zweite Wahl war hinter Pam und daß sie nun, wo sie ihren Zweck erfüllt hatte, nutzlos für Kane geworden sei.
»Zur Hölle mit ihm!« rief Pam, stand auf und lief im Zimmer auf und ab. »Er findet sich großartig, wenn er dir sagt, er habe dich, wie er meint, nur zu einem bestimmten Zweck geheiratet. Er ist der verwöhnteste Mann, der mir jemals in meinem Leben begegnet ist.«
Houston bewegte den Kopf und blickte zu Pam hinauf — ein erstes Zeichen der Wiederbelebung.
»Er gefällt sich in der Vorstellung, er habe eine erbärmliche Jugend gehabt; aber ich kann dir versichern, daß er es war, der hier im Haus den Ton angab, als er noch bei uns lebte. Die Leute blickten auf mich herab, weil ich mich in einen Stallburschen verliebt hatte; aber das taten sie nur, weil sie noch nie so einen jungen Mann wie Kane Taggert in ihrem Stall gehabt haben.«
Pam setzte sich wieder auf ihren Schemel und beugte sich vor. »Du kennst ihn«, fuhr sie erbittert fort. »Du hast sein herrisches Wesen erlebt, seine Angewohnheit, jeden herumzukommandieren. Glaubst du, er sei als Junge anders gewesen, nur weil er angeblich ein Diener dieses Hauses war?«
»Ich glaube nicht, daß ich darüber schon einmal nachgedacht hätte«, murmelte Houston. »Marc sagte damals nur, Kane sei ein Tyrann.«
»Tyrann!« schnaubte Pam und stand wieder von ihrem Schemel auf. »Kane führte das Regiment im Haus. Mein Vater hat mehr als einen wichtigen geschäftlichen Termin versäumt, weil Kane zu ihm sagte, er könne keine Kutsche oder kein Pferd bekommen, weil sie nicht reisefähig seien. Beim Dinner mußten wir das essen, was Kane gern essen wollte, weil die Köchin glaubte, sich eher nach Kanes Geschmack als nach dem meines Vaters richten zu müssen.«
Houston erinnerte sich, wie Mrs. Murchison schon am ersten Tag Kanes Lieblingsspeisen gekocht und ihn stets in Schutz genommen hatte.
»Er war schon immer ein hübscher Junge gewesen und wußte genau, wie er sich anstellen mußte bei Frauen, damit sie ihm jeden Wunsch erfüllten. Die Hausmädchen machten ihm die Zimmer sauber, kochten und bügelten seine Wäsche, brachten ihm das Essen aufs Zimmer. Er leitete zwar nicht die Firma Fenton Coal and Iron, aber ganz bestimmt unseren Haushalt. Ich möchte nicht wissen, wie er sich aufgeführt hätte, wäre ihm damals schon bekannt gewesen, daß eigentlich ihm der Besitz der Fentons gehörte. Vielleicht hat mein Vater ihm einen Gefallen getan. Vielleicht hat ihm das Leben in den Ställen ein wenig Demut und Bescheidenheit beigebracht; denn mit diesen Eigenschaften ist er bestimmt nicht auf die Welt gekommen.«
Pam fiel vor der Wanne auf die Knie. »Ich verspreche dir, daß du hier so lange wohnen kannst, wie du willst. Und wenn du auf meine Meinung Wert legst: du hast recht daran getan, ihn zu verlassen. Er kann unmöglich eine Frau heiraten, nur um einen Racheplan in die Tat umzusetzen. Und jetzt steigst du aus der Wanne, während ich dir einen Schlummertrunk vorbereite, damit du schlafen kannst.«
Wieder gehorchte Houston wie ein dressiertes Tier, trocknete sich mit einem von Pams pinkfarbenen Badetüchern ab und schlüpfte in eines von Pams keuschen Nachthemden.
Pam kam mit einem dampfenden Becher zurück. »Wenn du damit nicht einschläfst, nimmt es dir wenigstens den Druck von der Seele. Und nun schlüpf unter die Decke. Das Morgen muß besser werden als das Heute.«
Houston trank fast den ganzen Becher aus, und das Gebräu tat seine Wirkung. Schon bald war sie eingeschlafen, und als sie erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel, und sie hatte Kopfschmerzen. Über das
Weitere Kostenlose Bücher