Herz aus Eis
die sich ihm in den Weg stellen und ausfragen wollten. Die meisten Einwohner von Chandler standen vor ihren Häusern, blickten hinüber zu dem Berg, auf dem sich die Zeche Little Pamela befand, und ergingen sich in Vermutungen, was dort wohl passiert sein mochte.
Kane sprengte mit donnernden Hufen durch die Stadt und dann die Archer Avenue hinunter, an deren Ende sich Edans Haus befand. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite herrschte lebhafter Betrieb vor der neuen Westfield-Klinik. Seit der Nacht, wo sie in Unfrieden auseinandergegangen waren, hatte Kane Edan nicht mehr gesehen.
Edan eilte gerade über die Veranda an der Vorderfront seiner Villa auf das gesattelte Pferd zu, das dort angebunden stand, als Kane seinen Gaul so heftig vor dem Haus zügelte, daß er mit den Vorderbeinen in die Luft stieg.
Kane sprang aus dem Sattel und war mit einem Satz oben auf der Veranda. »Ich weiß, daß du im Augenblick nicht viel übrig hast für mich; aber ich kenne niemanden sonst, der genügend Verstand besitzt, um mir organisieren zu helfen, was ich vorhabe. Deshalb bitte ich, vorübergehend deinen Ärger zu vergessen und mit mir zusammenzuarbeiten.«
»Wobei soll ich dir helfen?« fragte Edan behutsam. »Ich wollte gerade zur Mine reiten. Jeans Onkel befindet sich dort und . . .«
»Zufällig ist das auch mein gottverdammter Onkel!« explodierte Kane. »Ich komme nämlich eben aus der Mine, und dort haben sie so viele Helfer, daß sie gar nicht mehr wissen, wohin damit. Aber Wasser und Lebensmittel haben sie nicht, und die Explosion hat eine Reihe von Häusern eingerissen — wenn man diese elenden Hütten überhaupt so nennen kann. Ich brauche deine Hilfe, um Lebensmittel und Unterkünfte für die Leute dort oben zu beschaffen — für die Bergungsmannschaften und die Frauen, die heulend herumstehen und nicht wissen, wie es weitergehen soll.«
Edan blickte seinem früheren Arbeitgeber eine Sekunde lang in die Augen. »Nach den telefonischen Auskünften, die Jean bekam, kann es sehr lange dauern, bis alle Opfer geborgen sind. Wir brauchen eine Menge Fuhrwerke, um die Hilfsgüter zur Mine transportieren zu können. Und wir müssen versuchen, einen Zug für die . . . Leichen zu besorgen. Heute gilt es, erst einmal Nahrungsmittel zu verteilen, die nicht gekocht werden müssen.«
Kane blickte Edan mit einem strahlenden Lächeln an. »Los — gehen wir an die Arbeit.«
Jean war in diesem Moment mit schneeweißem Gesicht auf die Veranda herausgetreten.
Edan wandte sich ihr zu. »Ich möchte, daß du Miss Emily in ihrer Teestube anrufst und ihr sagst, daß sie alle Schwestern so rasch wie möglich zu Randolphs Kaufhaus bestellen soll. Ich treffe sie dann dort. Überzeuge dich erst, daß du mit Miss Emily selbst sprichst und betone das Wort >Schwestern<, Jean. Das ist sehr wichtig. Hast du mich verstanden?«
Jean nickte kurz, und Edan gab ihr rasch einen Kuß, ehe er das gesattelte Pferd bestieg.
Sobald sie die Innenstadt erreicht hatten, trennten die beiden sich und suchten jeden auf, von dem sie wußten, daß er ein Fuhrwerk besaß. Die meisten Fuhrwerksbesitzer stellten ihren Wagen und ihre Gespannpferde freiwillig zur Verfügung und boten sich auch als Kutscher an. Ganz Chandler war nun von einem Gefühl der Zusammengehörigkeit beseelt, weil die Sorge um die Mine und das Schicksal der Verunglückten sie alle vereinte.
Sechs junge Frauen warteten bereits vor Randolphs Kaufhaus, als Edan und Kane dort eintrafen. Kane brauchte ihnen nur kurz zu sagen, was in der Mine gebraucht wurde, und dann übernahmen die Ladys das Kommando. Miss Emily brüllte ihre Befehle mit der Stimme eines Feldwebels, der eine Batterie schwerer Geschütze in Stellung bringen muß.
Als die Fuhrwerke heranrollten und vor dem Lagerschuppen des Kaufhauses eine Kette bildeten, luden die Ladys Kisten mit Büchsenfleisch, Bohnen, Kondensmilch, Keksen und säckeweise frischgebackenes Brot auf. Als sich Neugierige vor dem Kaufhaus versammelten, kommandierte Miss Emily sie ebenfalls zum Beladen der Fuhrwerke ab.
Edan besorgte inzwischen einen Tankwagen, der mit Trinkwasser gefüllt wurde.
Pamela Fenton kam den Hügel heruntergerannt, hielt mit der einen Hand ihren Hut fest, mit der anderen ihren Sohn Zachary. »Was können wir beide tun?« fragte sie ganz laut, Miss Emilys Befehlsstimme übertönend.
Kane blickte hinunter auf seinen Sohn, und ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmte ihn. Sein Kind würde niemals unter lebensgefährlichen
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