Herz aus Eis
Bewußtsein, daß irgendwo ein Kind lebte, dem das eigentlich gehörte, was ich kaufte und verkaufte. Ich ließ dich einmal, als du noch sehr klein warst, hierherbringen, damit ich mich überzeugen konnte, daß du nicht verdient hast, was mein Vater dir hinterließ.«
Jacob setzte sich Kane gegenüber an den Tisch. »Der Arzt sagt, daß ich noch einen, höchstens zwei Monate zu leben habe. Ich habe es noch niemandem gesagt; aber irgendwie war es mein Wunsch, daß du die Wahrheit erfahren solltest, ehe ich sterbe.«
Er nahm sein volles Weinglas und nippte daran. »Der Haß schadet dem Hassenden mehr als dem Gehaßten. Die ganzen Jahre über, die du hier gewohnt hast, bist du mir täglich vor Augen gekommen, und ich war mir sicher, daß du versuchen würdest, mir abzujagen, was ich besaß. Ich lebte in der ständigen Angst, daß du die Wahrheit entdecken und mir wegnehmen würdest, was mir und meinen Kindern gehörte. Und als du Pam zur Frau haben wolltest, schien es mir so, als wären meine Ängste Wirklichkeit geworden. Später kam mir der Gedanke, daß ich die Ehe meiner Tochter mit dir als eine gerechte Lösung hätte betrachten sollen; doch damals . . . Ich glaube nicht, daß ich damals zu einem vernünftigen Gedanken fähig war.«
Jacob nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinglas. »Du hast nun die Beichte eines Sterbenden entgegengenommen, Taggert. Es gehört alles dir; du kannst es dir nehmen, wenn du willst. Heute morgen habe ich meinem Sohn die Wahrheit erzählt, so daß er weiß, wer der wahre Eigentümer meines Vermögens ist; denn ich habe nicht mehr die Kraft oder den Willen, dich noch länger zu bekämpfen.«
Kane lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und als er nun den Mann, der ihm gegenübersaß, betrachtete und die graue Verfärbung der Haut bemerkte, wurde ihm deutlich, daß er diesen Mann nicht mehr haßte. Houston hatte zu ihm gesagt, daß der Haß auf Jacob Fenton ihm die Kraft gegeben habe, sich zu erwerben, was er nun besaß, und vielleicht hatte sie damit recht. Tatsächlich hatte sie ihn auf das Unrecht hingewiesen, das Horace damit beging, als er Jacob enterbte.
Kane nahm nun auch einen Schluck von dem Wein, der vor ihm stand, und blickte auf den Teller. »Warum mußtest du die Bergleute hungern lassen, um dein Vermögen zu vergrößern?«
»Die Bergleute hungern lassen?« keuchte Jacob, während ihm die Augen aus den Höhlen traten. »Ist denn keinem Menschen auf dieser Welt klar, daß ich mit den Bergwerken so gut wie nichts verdiene? Was mir Geld einbringt, sind einzig und allein meine Eisenhütten in Denver; doch alle Welt sieht nur die armen geschundenen Bergleute und beschuldigt mich, ein Satan zu sein.«
Er stand auf und begann, im Zimmer auf- und abzuwandern. »Ich muß die Bergwerkslager mit Zäunen umgeben und bewachen lassen, oder die Gewerkschaftler dringen dort ein und wiegeln die Bergarbeiter auf, daß sie höhere Löhne von mir verlangen und kürzere Arbeitszeiten. Weißt du, was sie von mir fordern? Sie wollen einen Schiedsmann wählen, der die Gewichte überprüft. Hör zu — ich weiß so gut wie jeder andere, daß die Waagen nicht stimmen und die Bergleute mehr Kohle hauen, als man ihnen gutschreibt; aber wenn ich ehrlich wäre und ihnen tatsächlich bezahlte, was sie sich verdient haben, würde ich einen höheren Preis für die Tonne Kohle verlangen müssen. Und dann wäre ich nicht mehr konkurrenzfähig, würde keine Lieferverträge mehr bekommen, und die Leute wären ihre Arbeit los. Wem schadet es also am meisten, wenn ich einen Schiedsmann für die Waagen wählen ließ? Ich kann jeden Tag Hunderte von Bergarbeitern bekommen; aber ich glaube nicht, daß sie so leicht einen Job finden werden.«
Kane blickte den älteren Mann einen Moment schweigend an. »Wie steht es mit der Sicherheit in den Stollen? Wie ich hörte, verwenden sie verdorbenes Holz beim Abteufen der Stollen und . . .«
»Einen Teufel tun sie. Die Bergleute haben eine eigene Standesehre. Du kannst deinen Onkel fragen, ob ich nicht recht habe. Sie prahlen damit, daß sie dir genau sagen können, wie weit sie einen Stollen aushauen können, ehe die Decke einbricht. Ich habe meine Bergwerksinspektoren, die jeden Tag mit in die Grube fahren, und sie berichten mir, daß die Leute sich nicht die Zeit nehmen, jeden Stollenabschnitt auch vorschriftsmäßig abzustützen.«
Kane nahm die Gabel hoch, die neben dem Teller lag, und begann langsam zu essen. Doch dann merkte er, daß er einen rasenden Hunger
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