Herz aus Eis
verrückt geworden sein. Keine Frau mit gesundem Verstand würde sich auf so eine Ehe einlassen. Nicht mit sehenden Augen. Ich kann verstehen, daß man so verliebt ist in einen Mann, daß man seine Fehler nicht sieht. Aber ich sehe Kane Taggert genauso, wie er wirklich ist; als einen Mann von überwältigender Eitelkeit, als einen Mann ohne jede Eitelkeit. Was man auch über diesen Mann sagt — es trifft immer zugleich das Gegenteil auf ihn zu.«
Sie ließ sich wieder auf ihren Stuhl zurückfallen. »Ich bin verrückt. Vollkommen, absolut verrückt.«
»Bist du davon wirklich überzeugt?« fragte Jean mit ruhiger Stimme.
»Oh, ja, das bin ich«, antwortete Houston. »Keine andere Frau würde . . .«
»Nein, ich meine, als du von der Liebe gesprochen hast, die so blind macht, daß man die Fehler des Geliebten nicht mehr sieht. Ich habe immer gedacht — oder gehofft —, daß jemand, der mich liebt, alle meine Fehler kennt und sich trotzdem nicht in seiner Liebe beirren läßt. Ich würde mir keinen Mann wünschen, der mich für eine Göttin hielte; denn wenn er erst einmal dahinterkommt, wie zornig ich werden kann, müßte ich befürchten, daß er mich nicht mehr liebt.«
Houston blickte Jean verwirrt an. »Aber lieben bedeutet doch . . .«
»Ja? Was bedeutet es, jemanden zu lieben?«
Houston stand auf und blickte geistesabwesend zum Fenster hinaus. »Sich wünschen, in der Nähe dieses Menschen zu sein. Sich wünschen, bei ihm zu bleiben in guten wie in schlechten Tagen. Sich wünschen, von ihm Kinder zu bekommen: ihn sogar zu lieben, wenn er etwas tut, was einem selbst nicht gefällt. Zu denken, daß er der großartigste, großzügigste Mensch von der Welt ist; zu lachen, wenn er etwas sagt, daß einem schon zum fünftenmal weh tut während einer Stunde. Sich Sorgen zu machen, ob ihm das Kleid gefallen wird, das man angezogen hat. Sich zu fragen, ob er auf dich stolz ist, und zu merken, wie du innerlich zerschmilzt, wenn er dich lobt.«
Sie hielt inne und blieb ein paar lange Sekunden hindurch still.
»Wenn ich bei ihm bin, fühle ich mich lebendig«, flüsterte sie. »Ich glaube nicht, daß ich jemals lebendig gewesen bin, ehe ich Kane kennenlernte. Ich existierte nur, bewegte mich, aß, gehorchte. Kane gibt mir das Gefühl von Macht; als wäre nichts unmöglich für mich. Kane . . .«
»Ja«, fragte Jean leise, »was ist Kane?«
»Kane Taggert ist der Mann, den ich liebe.«
Jean brach in ein Lachen aus. »Ist es wirklich so eine Katastrophe, in einen von uns Taggerts verliebt zu sein?«
»Ihn zu lieben ist einfach; aber mit ihm zu leben ist wahrscheinlich etwas schwieriger.«
»Du wirst es dir bestimmt nur halb so schwierig vorstellen, wie es wirklich sein wird«, sagte Jean, immer noch lachend. »Möchtest du noch eine Tasse?«
»Sind denn alle Taggerts so wie Kane?«
»Mein Vater hat — glücklicherweise, möchte ich sagen — etwas mehr von dem mütterlichen Teil der Familie geerbt; doch Onkel Rafe und Ian sind typische Taggerts. Ich dachte, daß dieser Kane, weil er doch so viel Geld hat. . .«
»Das macht ihn vermutlich nur noch schlimmer. Wer ist Ians Vater? Ich kann mich nicht erinnern, den Jungen schon mal gesehen zu haben.«
»Hast du nicht. Er arbeitet schon jahrelang im Bergwerk, obwohl er erst sechzehn ist. Er sieht wie Rafe aus: kräftig, hübsch, zornig. Sein Vater war Lyle, Rafes Bruder. Lyle ist bei einer Schlagwetterexplosion umgekommen. Er war damals erst dreiundzwanzig.«
»Und Kanes Vater . . .?«
»Frank war der älteste von den Brüdern. Er fiel schon viele Jahr vor meiner Geburt einem Grubenunglück zum Opfer. Ich glaube, er hat die Geburt seines Sohnes nicht mehr erlebt.«
»Das tut mir leid«, sagte Houston. »Es muß ein hartes Leben für dich sein, für so viele Männer sorgen zu müssen.«
»Ich werde dabei von ein paar wohltätigen jungen Ladies unterstützt«, sagte Jean und erhob sich vom Tisch. »Es wird bald dunkel. Du solltest jetzt lieber aufbrechen.«
»Du kommst doch zu meiner Hochzeit? Bitte. Ich wäre sehr glücklich, wenn du dabei sein könntest. Außerdem wirst du mich dann ein bißchen sauberer erleben.« Houston grinste und zeigte ihre geschwärzten Zähne.
»Wenn ich ehrlich sein darf, würde ich meinen, daß ich mich in Sadies Nähe wohler fühle als im Haus einer Gesellschaftsprinzessin, Miss Chandler.«
»Sag das nicht!« sagte Houston ernst. »Bitte, sag so etwas nicht.«
»Also gut. Ich werde mich bemühen.«
»Und du wirst gleich
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