Herz aus Feuer
Erfahrungen als Assistenzarzt in Amerika und im Ausland zu berichten. Im Gegenzug erzählte sie ihm dann von ihrem Onkel Henry und ihrer Ausbildung — von den harten Bedingungen, denen sie dabei als Frau unterworfen worden war, weil ihre Dozenten von der Erfahrung ausgingen, daß Frauen in diesem Beruf mit Männern konkurrieren müßten, die keine hohe Meinung von der Qualifikation ihrer weiblichen Kollegen hätten — und deshalb bei den Prüfungen besser abschneiden müßten als die Männer. Sie erzählte ihm von der grausamen, drei Tage dauernden Aufnahmeprüfung, denen sie als Bewerberin um eine Stelle am St-Josephs-Hospital unterzogen worden war. »Und ich gewann!« sagte sie und erzählte Leander nun von jenem Krankenhaus. Sie merkte nicht, wie sonderbar Lee sie von der Seite ansah, als sie von ihrer zukünftigen Tätigkeit in diesem Hospital sprach.
Am frühen Nachmittag erreichten sie die Grenze der Winter-Ranch, und Lee brachte sie zu dem großen alten Ranchgebäude, wo er die achtjährige Tochter des Ranchers besuchen wollte, die an Typhus erkrankt gewesen war.
Das Mädchen war wieder wohlauf, und Lee und Blair wurden mit kuhwarmer Milch und frischem Maisbrot bewirtet.
»Das ist vermutlich die einzige Bezahlung, die wir erhalten«, sagte Lee, als sie wieder in die Kutsche stiegen. »Landärzte werden nicht reich. Du kannst froh sein, wenn du mich als Ernährer bekommst.«
Blair wollte ihm widersprechen, daß sie nicht die Absicht habe, in Chandler zu bleiben und ihn zu heiraten; doch irgend etwas hielt sie davon ab. Vielleicht die Art, wie er ihr angedeutet hatte, daß sie eine vollwertige Ärztin sei und wenn — falls — sie heirateten, sie dennoch ihren Beruf ausüben könne. In Anbetracht der engstirnigen Vorurteile, die man in Chandler gegen berufstätige Frauen hegte, war das ein großes Kompliment.
Kaum hatten sie die Ranch hinter sich gelassen, als ein Cowboy auf ihre Kutsche zusprengte und neben ihnen in einer Staubwolke das Pferd herumriß. »Wir brauchen Ihre Hilfe, Doc«, rief er Leander zu.
Doch zu Blairs Verblüffung raste Lee diesmal nicht wie der Blitz hinter dem Reiter her, sondern fragte:
»Sind Sie nicht von der Lazy-J-Ranch?«
Der Cowboy nickte.
»Ich möchte erst die Lady zur Winter-Ranch zurückbringen, ehe ich Sie begleite.«
»Aber der Mann hat einen Bauchschuß bekommen und blutet wie ein Schwein. Er muß sofort behandelt werden.«
Gestern hätte sich Blair noch darüber empört, daß Lee sie nicht mitnehmen wollte zu einem Patienten; aber inzwischen wußte sie, daß er nichts dagegen hatte, wenn sie ihm bei der Behandlung half; also mußte er andere Gründe für seine Entscheidung haben. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Was auch geschieht — ich bin dabei. Du kannst mich nicht beschützen.« Und ein drohender Unterton in ihrer Stimme deutete an, daß sie ihm folgen würde, wenn er sie jetzt zurückließ.
»Sie haben das Feuer eingestellt, Doc«, sagte der Cowboy. »Der Lady wird nichts passieren, solange Sie Ben verarzten.«
Leander blickte Blair an und dann zum Himmel hinauf. »Ich hoffe, daß ich das nicht mein Leben lang bereuen muß«, sagte er, während er die Peitsche über dem Kopf des Pferdes knallen ließ. Und ab ging die Chaise.
Blair hielt sich mit beiden Händen an der Lehne fest und sagte: »Wird etwa geschossen?« Doch niemand hörte sie.
Sie ließen Pferd und Kutsche in einer Senke zurück und folgten dem Cowboy zu Fuß zu der Ruine eines Lehmziegelhauses, dessen Dachstuhl zur Hälfte eingestürzt war.
»Wo sind die anderen?« fragte Lee und blickte durch die Bäume hindurch zu dem gegenüberliegenden Steilhang, auf den der Cowboy deutete. Dort befand sich eine zweite Ruine, die auf gleicher Höhe über dem Abgrund schwebte.
Blair wollte fragen, was sich hier abspielte; doch Leander legte ihr die Hand ins Kreuz und schob sie vor sich her in die Ruine hinein. Als sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah sie einen Mann und eine dicke Frau, die auf dem Boden unter einem Fenster kauerten — oder dem, was davon übriggeblieben war —, ein Gewehr über der Schulter, zwei Revolver griffbereit neben sich und darum herum eine Menge leerer Patronenhülsen. In einer Ecke standen drei Pferde. Blair blickte mit großen Augen um sich: Was sie hier sah, gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Wir flicken ihn zusammen und dann verduften wir wieder«, sagte Lee, sie wieder an den Zweck ihres Hierseins erinnernd.
Im dunkelsten Teil der Scheune lag
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