Herz aus Feuer
entferntesten Winkel zurück und bedeutete Blair, sich neben ihn zu setzen; aber sie wollte nicht. Sie hatte das Gefühl, daß sie nicht in seine Nähe kommen durfte, und lehnte sich an die gegenüberliegende Ziegelwand. Als eine Kugel einen halben Meter von ihrem Kopf entfernt in der Wand einschlug, hüpfte sie buchstäblich in Leanders ausgebreitete Arme und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
»Ich hätte nie geglaubt, daß ich mich für einen Weidekrieg erwärmen könnte«, murmelte Lee und begann, ihren Nacken zu küssen.
»Fang nicht wieder damit an«, sagte Blair, obwohl sie den Kopf hob, damit er ihre Lippen erreichen konnte.
Doch es dauerte nicht lange, bis Lee zur Einsicht kam, daß er nicht mit diesem zärtlichen Spiel fortfahren konnte — nicht hier und jetzt, wo ihnen so viele Leute zusahen und die Kugel um sie herumschwirrten. »Schon gut, ich höre auf«, sagte er und lächelte über das Gesicht, das Blair auf seine Worte hin machte.
Sie rückte nicht von ihm fort, sondern blieb in seinen Armen, da seine Nähe ihr ein Gefühl der Sicherheit gab und das sausende Geräusch der Kugeln leiser zu werden schien. »Erzähl mir, wo du deine chirurgischen Fähigkeiten herhast.«
»Aha — du möchtest wieder romantische Reden führen. Laß mich nachdenken. Das erste Mal in . . .«
Blair schien unersättlich. Stundenlang saßen sie aneinandergeschmiegt in der hintersten Ecke der Ruine, wo sie ihn mit Fragen löcherte, wo er dieses und jenes gelernt habe, was für Fälle ihm in seiner Praxis untergekommen seien, was sein schwierigster und sein komischster Fall gewesen war und weshalb er überhaupt diesen Beruf ergriffen habe — und so weiter, und so fort, bis er anfing, sie auszufragen, um sich eine Atempause zu verschaffen.
Die Sonne ging unter. Hin und wieder flaute nun das Feuer zwar ab, hielt jedoch die ganze Nacht hindurch an. Lee versuchte, Blair zum Schlafen zu bewegen; doch sie wollte nicht.
»Ich merke, daß du ihn dauernd beobachtest«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf den Mann mit dem Bauchschuß. »Daß du ihn die Nacht hindurch im Auge behalten möchtest. Was für dich gilt, gilt auch für mich. Welche Chance hat er deiner Ansicht nach?«
»Das hängt davon ab, ob er eine Sepsis bekommt, und das liegt allein in Gottes Hand. Ich konnte ihn nur wieder zusammenflicken.«
Am Himmel zeigte sich bereits ein leichtes Grau, und Leander sagte, er müsse nach seinem Patienten sehen, der sich zu bewegen begann.
Blair stand auf und streckte sich, und in der nächsten Sekunde hörte sie ein Geräusch, daß sie alles bis auf ihren Beruf vergessen ließ. Es war das Geräusch einer Kugel, die in Fleisch einschlug.
Blair löste sich von Lee und rannte um die Ecke der niedrigen Lehmmauer herum — gerade noch rechtzeitig, um sehen zu können, was im Wohnraum passiert war. Der Mann, der noch kein Wort mit ihnen geredet hatte, hatte einen Schuß ins Kinn bekommen, und die dicke Frau hatte ein paar frische Pferdeäpfel in der Hand und wollte diese auf die offene Wunde legen.
Blair achtete nicht auf die Kugeln, die über ihren Kopf hinwegpfiffen, als sie sich aufrichtete und sich mit einem Satz auf die dicke Frau warf.
Erschrocken, verärgert, begann diese sich gegen Blair zu wehren, und Blair mußte sich vor den Faustschlägen der Frau schützen — doch unter keinen Umständen wollte sie zulassen, daß diese Frau frischen Pferdedung mit einer frischen Wunde in Berührung brachte.
So sehr war sie auf diese Bemühung konzentriert, daß sie gar nicht merkte, wie sie und die Frau durch die breite Öffnung rollten, wo vormals eine Tür gewesen war.
Im nächsten Augenblick, als Blair versuchte, die Frau daran zu hindern, ihr die Haare auszurupfen, donnerte direkt über ihnen ein Gewehr los.
Die beiden Frauen ließen von ihrem Ringkampf ab, blickten hoch und sahen Leander zwischen sich und der Ruine am gegenüberliegenden Hang stehen, ein Gewehr an der Hüfte, aus dem er so schnell schoß, wie er den Repetierhebel bedienen konnte.
»Macht, daß ihr wieder ins Haus kommt!« brüllte er den Frauen zu und ließ dem Befehl eine Reihe von saftigen Flüchen folgen, die den Männern auf der anderen Seite der Schlucht galten. Er rief ihnen zu, daß er Dr. Westfield sei und genau wüßte, wer sich dort drüben verschanzt hatte. Und wenn einer von ihnen mal seine Hilfe brauchte, würde er sich weigern, ihn zu behandeln, und ihn an seiner Wunde verbluten lassen.
Darauf wurde das Feuer drüben eingestellt.
Als
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