Herz aus Feuer

war er, daß er etwas für diese Leute tun mußte. Er hatte keine Vorstellung davon, was es sein könnte, bis er die Artikel in den Zeitungen las, die von der Organisation von Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung an der Ostküste berichteten. In Gegenwart seines Vaters dachte er laut darüber nach, ob man nicht Gewerkschaftsvertreter dazu überreden könne, nach Colorado zu kommen.
    Sobald Reed erkannte, was im Kopf seines Sohnes vorging, versuchte er, ihm seine Pläne auszureden; doch Lee fuhr mit seinen Besuchen in den Bergwerkslagern fort, und je mehr er dort sah, um so konkreter wurden seine Vorstellungen, was er gegen diese Mißstände unternehmen mußte. Er nahm einen Zug nach Kentucky, traf sich dort zum erstenmal mit Gewerkschaftsvertretern und berichtete ihnen ausführlich von den Zuständen in den Kohlegruben von Colorado. Dabei erfuhr er, daß die ersten Versuche, die Arbeiter in Colorado gewerkschaftlich zu organisieren, kläglich gescheitert seien und er sein Leben riskierte, wenn er sich für die Arbeiterbewegung engagierte.
    Da stand ihm wieder das kleine ausgemergelte, dreijährige Mädchen vor Augen, das in seinen Armen an einer Lungenentzündung gestorben war, und er versprach, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um den Bergarbeitern zu helfen.
    Bisher hatte er drei Gewerkschaftsvertreter in die Lager geschmuggelt, und die Grubenbesitzer wußten, daß es der Gewerkschaft gelungen war, ihre Männer in die Lager einzuschleusen, und daß ein Außenstehender ihnen dabei half. Und so wurde sein Unternehmen von Mal zu Mal gefährlicher.
    Im letzten Jahr hatte einer von den Bergleuten, ein Hüne namens Rafe Taggert, damit begonnen, sich als der Drahtzieher dieses Unternehmens auszugeben, und angedeutet, daß er die Gewerkschaftsvertreter in die Minen schmuggelte. Aus irgendeinem Grund glaubte dieser Mann, daß weder die Wächter noch die Eigentümer ihm etwas antun, daß man keine »Unfälle« arrangieren würde, um ihn aus dem Weg zu schaffen. Es gingen Gerüchte um, daß sein Bruder mit Fentons Schwester verheiratet gewesen sei; aber niemand wußte das so genau. Da die Bergarbeiter häufig den Ort wechselten, wenn eine Mine geschlossen und eine neue eröffnet wurde, waren die meisten Leute im Lager noch nicht lange genug in der Gegend, um sich an etwas erinnern zu können, das vor mehr als dreißig Jahren geschehen oder nicht geschehen sein mochte.
    Doch aus welchem Grund auch immer: der Verdacht ruhte auf Rafe Taggert, und bisher hatte noch niemand hinter dem gutaussehenden jungen Arzt Leander, der seine Zeit opferte, um den kranken Bergleuten zu helfen, einen Komplicen der Gewerkschaft vermutet.
    Als Lee mit seinem Einspänner am Tor der Empress Mine hielt, bemühte er sich nach Kräften, unbefangen zu erscheinen, und scherzte mit den Lagerwächtern. Niemand kontrollierte ihn oder seine Kutsche, und so fuhr Lee bis in den entlegensten Winkel des Lagers, sorgte dafür, daß sich dort der Gewerkschaftsvertreter in einem Wäldchen versteckte, während er inzwischen von Haus zu Haus fuhr und ein Treffen mit ihm vereinbarte. Um kein Aufsehen zu erregen, durften immer nur drei Männer zugleich mit ihm Zusammenkommen. Der junge Gewerkschaftler würde den ganzen Tag und die halbe Nacht im Lager bleiben und riskierte dabei in jeder Sekunde sein Leben. Und während Lee in jedem Haus nach den Kindern sah, sagte er den Männern, wo sie sich mit dem Gewerkschaftsvertreter treffen konnten; mit dieser Auskunft setzte er jedesmal sein Leben aufs Spiel, denn er wußte inzwischen, daß sich unter diesen Männern ein Spitzel des Eigentümers befand.

Kapitel 13
    Als Blair am Sonntagmorgen erwachte, fühlte sie sich großartig. Sie streckte und reckte sich, lauschte dem Gesang der Vögel vor ihrem Fenster und dachte, daß dies wohl der herrlichste Tagesanbruch ihres Lebens sei. Ihr Geist war voll von all den Dingen, die sie mit Lee am Tag zuvor erlebt und vollbracht hatte. Sie erinnerte sich wieder, wie er die Gedärme des Mannes mit dem Bauchschuß geflickt hatte, wie geschickt und sorgsam er mit seinen Händen gewesen war, immer genau wissend, was er tun mußte.
    Sie wünschte, Alan hätte ihm bei der Operation Zusehen können.
    Plötzlich saß sie kerzengerade. Alan! Sie hatte vollkommen vergessen, daß sie gestern um vier Uhr nachmittags mit ihm verabredet gewesen war. Sie hatte sich solche Sorgen um Houston gemacht, über ihr törichtes Verhalten angesichts dieser Ringe, und dann hatte Lee angerufen und sie