Herz aus Feuer
man sie an einen Stuhl gefesselt, und gestern war sie mit ihrem Stuhl umgekippt; aber ehe sie die Stricke abstreifen konnte, war diese Frau hereingekommen und hatte befohlen, ihren Stuhl am Boden festzunageln. Dann hatte sie stundenlang dort sitzen und zusehen müssen, wie die Frau ihren Männern Befehle erteilte.
Sie wurde Françoise genannt und war die Anführerin der Banditen. Sie war groß, schlank und hübsch mit ihrem langen schwarzen Haar, auf das sie offensichtlich ungemein stolz war. Sie trug einen Patronengurt mit einem Revolver um die Hüften und war intelligenter als alle Männer ihrer Bande zusammen.
Als Blair sie sah , wußte sie sofort: Das ist die Frau, die Leander liebte.
Denn alles paßte auf sie, was Reed ihr erzählt hatte. Sie war Französin, sprach Englisch mit einem so starken Akzent, daß ihre Männer Mühe hatten, sie zu verstehen, und war in etwas verwickelt, das niemals Lees Zustimmung finden würde. Blair konnte nicht vermeiden, daß ihre gute Meinung von Lee Einbußen erlitt, weil er eine Frau liebte, die zu so unehrenhaften Handlungen fähig war.
Sie saß auf ihrem harten Stuhl und betrachtete die Frau mit unverhohlener Feindseligkeit. Ihretwegen würde sie nie ihren Mann für sich allein haben, würde es ihr nie gelingen, die Erinnerung an die Vergangenheit aus seinem Gedächtnis zu löschen. Vielleicht war es für Männer ein besonderer Nervenkitzel, wenn sie eine Verbrecherin liebten.
Die Frau stand einen Moment vor Blair und betrachtete deren Augen, die sie über den Rand des Tuches hinweg anfunkelten, mit dem die Männer sie geknebelt hatten. Dann nahm sie sich einen Stuhl und setzte sich der Gefangenen gegenüber an den alten Tisch.
»Jimmy, nimm ihr das Tuch ab«, sagte sie zu dem mächtigen Leibwächter, der ihr niemals von der Seite wich. Aus ihrem Mund hörte sich das so an: »Chimi — nimm irrr das Tuch ab.«
Sobald sie diese Blair von dem Knebel befreit hatte, gab sie dem Hünen einen Wink, damit er sich entfernte und sie beide im Zimmer allein ließ. »Und nun möchte ich wissen, warum du mich so haßerfüllt anstarrst. Die Männer blickst du nämlich nicht so an. Kommt es daher, weil ich eine Frau bin und es dir nicht gefällt, daß ich solche Talente und Macht über Männer besitze?«
»Talente? Nennen Sie das, was Sie da treiben, ein Talent?« fauchte Blair und schob ihren schmerzenden Unterkiefer hin und her. »Nur weil die Männer solche Trottel sind, daß sie eine Frau wie Sie nicht durchschauen können, müssen Sie mich nicht mit ihnen in einen Topf werfen. Ich weiß, was Sie sind!«
»Ich bin froh, daß du das weißt; aber ich glaube, daß ich noch nie jemand belogen habe.«
»Wirklich nicht? Bei mir würde Ihnen das auch nichts helfen. Ich weiß alles über Sie.« Blair hob ein wenig den Kopf und versuchte, möglichst stolz auszusehen. »Ich bin Leanders Frau.«
Blair mußte allerdings zugeben, daß diese Frau eine sehr gute Schauspielerin war. Die verschiedenartigsten Gefühle spiegelten sich auf ihrem Gesicht: Überraschung, Zweifel, Ungläubigkeit und schließlich Humor. Schließlich stand sie auf und sagte, Blair den Rücken zudrehend: »Ah, Leander — der teure Leander.«
»Ich würde das an Ihrer Stelle nicht in einem so selbstgefälligen Ton sagen«, schnaubte Blair. »Sie mögen sich zwar einbilden, daß er Ihnen gehört und immer gehören wird; aber ich werde dafür sorgen, daß er alles vergißt, was zwischen Ihnen beiden einmal gewesen ist.«
Als sich die Frau wieder Blair zudrehte, war ihr Gesicht ernst: »Wie könnte er vergessen, was wir zusammen erlebten? Keiner könnte so etwas vergessen, solange er lebt. So etwas passiert einem im Leben nur einmal. Er hat dich also geheiratet. Wann?«
»Vor zwei Tagen. Das sollten Sie eigentlich wissen, da er ja unsere Hochzeitsnacht mit Ihnen verbracht hat. Sagen Sie mal - wie haben Sie versucht sich umzubringen? Sie scheinen sich davon sehr gut erholt zu haben. Vielleicht war es gar kein echter Selbstmordversuch, sondern nur ein Gaukelspiel, um sein Mitleid zu erregen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie eine gute Verliererin sein können, wenn es um einen Mann wie Leander geht.«
»Nein«, sagte diese Françoise leise, »ich wollte Leander nicht verlieren; aber ich wollte ihn auch keiner anderen überlassen. Hat er dir erzählt, warum wir nicht mehr zusammen sind?«
»Er hat mir kein Wort von Ihnen erzählt. Als er erfuhr, was aus Ihnen geworden ist, wird ihm das sogar die Lust genommen
Weitere Kostenlose Bücher