Herz aus Glas (German Edition)
linken Daumens fuhr er sich über die Lippen. Es sah aus, als wolle er die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, daran hindern, aus seinem Mund zu kommen. Als er sprach, waren seine Zähne zusammengebissen. »Ich werde nicht zulassen, dass du dich in Gefahr bringst!«
Ich unterdrückte ein Schnauben. Da war er wieder, der altmodische Macho, der in Zac Gontermans Haus schon einmal hinter seiner Fassade hervorgeblitzt hatte. Wie an jenem Abend war ich mir nicht sicher, ob ich wütend oder gerührt sein sollte. An seinen Augen konnte ich ablesen, dass er sich wirklich Sorgen um mich machte. Trotzdem sagte ich: »Ich bin nicht dein Eigentum, David! Ich entscheide selbst für mich.«
Schwer und unerträglich düster lag sein Blick auf mir. »Und das heißt?«
»Dein Vater hat mich nach Martha’s Vineyard geholt, weil ich dir helfen sollte. Das heißt, dass ich nach Sorrow zurückkehren werde, wenn Dr. Redwood mich entlässt. Für meinen gesundheitlichen Zustand haben wir die Erklärung jetzt gefunden. Ich werde auch für den Rest eine finden. Für die wispernde Stimme und für …« Ich unterbrach mich, weil David mit einer so heftigen Bewegung von seinem Stuhl aufstand, dass der rückwärts rutschte und gegen die Wand krachte. Erschrocken schaute ich zu ihm auf.
Er atmete zweimal tief durch. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »In diesem Fall …«, sagte er kalt und marschierte zur Tür. Er streckte die Hand nach der Klinke aus, berührte sie jedoch nicht. Kurz hatte ich den Eindruck, dass ihm schwindelig war. Ich biss mir auf die Lippe. Vermutlich hatte es keinen Sinn, ihn jetzt zu bitten, ebenfalls einen Drogentest machen zu lassen.
»Was hast du vor?«, fragte ich leise. Zum ersten Mal seit längerer Zeit spürte ich wieder die Scherben in meiner Brust.
David senkte den Kopf. Ohne sich zu mir umzudrehen, sagte er: »Ich könnte es nicht ertragen, mit anzusehen, wie du in dein Unglück rennst.« Er hielt inne, ein paar Sekunden vergingen.
»Mein Unglück, David?« Ich musste die Worte hervorzwingen. »Weißt du, was mein Unglück wäre?«
David rührte sich nicht.
»Von hier weggeschickt zu werden. Von dir.« Himmel, seit wann redete ich so schwülstig daher?
Meine Worte standen im Raum. Lange. Dann, nach einer Ewigkeit, hob David den Kopf, aber er starrte nur geradeaus die Tür an. Seine Stimme war sehr leise, als er hinzufügte: »Zwing mich nicht dazu!«
Und mit diesen Worten ging er.
Als er hinter sich sachte die Tür ins Schloss zog, schossen mir Tränen in die Augen.
Ich lehnte mich in die Kissen zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte lange Zeit gegen die Decke ins Leere. In mir tobten die verschiedensten Gefühle. Zum einen wollte ich hinter David herlaufen, ihn in meine Arme ziehen und ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte. Ich wollte ihm versichern, dass Charlie uns niemals auseinanderbringen würde, dass ich zu ihm halten würde, egal, was geschah. Aber gleichzeitig war ich auch unglaublich wütend. Seitdem ich wusste, dass all diese unheimlichen Dinge, die mir auf Sorrow passiert waren, eine natürliche Ursache hatten, kam mir Davids Verhalten übertrieben und melodramatisch vor. Ich versuchte, mir einzureden, dass es an der Droge lag, die vermutlich auch in seinem Blut noch immer kreiste. Aber irgendwie reichte das nicht aus, meine Wut gegen ihn kleiner werden zu lassen.
Heute, da ich weiß, was noch alles hinter den Fassaden von Sorrow lauerte, schäme ich mich dafür, dass ich damals nicht mehr Verständnis für David aufbringen konnte. Aber an diesem Tag, in dem Krankenhausbett und mit den Resten von White Rage im Blut, war ich unfähig, weiter zu denken als bis zu den Klippen von Gay Head.
Seufzend schloss ich die Augen und wartete darauf, dass David sich besinnen und zurückkommen würde.
Irgendwann wurde leise die Tür aufgeschoben. Ich regte mich nicht, obwohl ich kurz davor war zu lächeln. David war wieder da, dachte ich.
Doch es war nicht David.
Die Stimme, die jetzt ertönte, kannte ich nur zu gut. »Miss Wagner?«
Ich riss die Augen auf und fuhr in die Höhe.
An meinem Bett, die Hände in einer verlegenen Geste vor dem Körper verschränkt, stand Grace.
»Sie!« Das war alles, was ich hervorbrachte. Mein Herz jagte. War sie etwa gekommen, um ihr Werk zu vollenden? Wollte sie mich umbringen? Hier? Wo jederzeit jemand hereinkommen konnte? Und wenn ja: Warum nur?
All diese Gedanken rasten durch meinen Kopf, während ich Grace fassungslos anstarrte und
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