Herz aus Glas (German Edition)
Arschloch sein kann. Ich hätte aber nicht gedacht, dass er …«
»Er ist kein Arschloch!« Wieder rutschten mir die Worte raus, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte.
Dads Verwirrung war jetzt mit Händen greifbar. »Was dann?« Er legte den Kopf von einer Seite auf die andere, während er versuchte rauszubekommen, was ich eigentlich von ihm wollte.
Hilflos zuckte ich die Achseln. Ich wusste es ja schließlich selbst nicht! »Ach was!«, sagte ich. »Es war idiotisch von mir, dich zu stören. Entschuldige! Ich komme schon klar!«
Er wirkte erleichtert über diesen Rückzug und gleichzeitig schien er mir meine Worte nicht zu glauben. Sein Blick huschte zwischen seinem Laptop und mir hin und her und nicht zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er sich fragte, was eigentlich sein wahres Leben war: die Figuren aus seinen Romanen oder aber ich, seine Tochter aus Fleisch und Blut. »Wirklich?«, fragte er unsicher.
Ich nickte. »Natürlich. Du kennst mich doch!«
Da grinste er befreit. »Stimmt! Meine starke, wunderbare Juli!«
Ich verzog das Gesicht. »Rede nicht immer wie die Typen aus deinen Büchern!«, mahnte ich und ging darüber hinweg, dass ich genau das eben selbst getan hatte.
Aber er lachte nur. Während ich mich schwermütig und aufgewühlt zugleich fühlte, klang er einfach nur erleichtert. Ich beneidete ihn um die Fähigkeit, alles Schwere einfach von sich abstreifen zu können. Ich wies auf seinen Laptop. »Geh wieder an die Arbeit. Und entschuldige noch mal, dass ich dich gestört habe!«
Er besaß zumindest so viel Anstand, mit dem Hinsetzen zu warten, bis ich auf halbem Weg zur Tür war. Als ich die Klinke herunterdrückte, warf ich einen Blick über die Schulter zurück.
Dad saß bereits wieder vor seinem Bildschirm.
Ich unterdrückte ein weiteres Seufzen. Dann ging ich.
»War doch klar!«, sagte Miley. Nachdem ich meinen Vater seinen Romanfiguren überlassen hatte, hatte ich nachgesehen, ob meine beste Freundin in Boston online war, und dafür den Laptop hochgefahren.
Zu meiner Erleichterung war Miley tatsächlich erreichbar gewesen, und anstatt zu chatten, hatten wir beschlossen, lieber per Skype zu telefonieren. Ich hatte Miley alles berichtet, was Henry mir über Charlie und ihren Tod erzählt hatte, und ihr danach mein Leid über meinen verantwortungslosen, unsensiblen Herrn Vater geklagt.
»Ich meine«, sagte Miley jetzt, »dein Dad war noch nie zu besonders viel zu gebrauchen. Im normalen Leben, meine ich.« Sie grinste. Sie saß offenbar auf ihrem Bett und hatte ihren Laptop auf dem Schoß. Hinter ihr konnte ich ein Stück eines Posters erkennen, das an ihrer Wand hing. Im Moment stand sie auf den Leadsänger einer neuen Boygroup, die in einer Castingshow zusammengevotet worden war.
Ich grinste zurück, auch wenn mir nicht so recht danach zumute war. »Hast ja recht! Aber er verdient ganz gut. Immerhin als Ernährer taugt er also!«
Sie lachte. »Stimmt. Wenn er so weitermacht, könnt ihr euch da unten auch bald so ein Haus leisten!«
»Hier auf Vineyard?« Ich tat so, als würde ich plötzlich frieren. »Weißt du, wie kalt es hier ist?«
Miley zwirbelte eine ihrer Haarsträhnen um den Zeigefinger. Aktuell war sie hennarot gefärbt, aber das stand ihr nicht, fand ich. Sie war eher ein südländischer Typ und ihre Haut viel zu dunkel für eine echte Rothaarige. Ich wusste, dass sie versuchte, mir ein wenig ähnlicher zu sehen. Meine wirren Locken hatten einen roten Schimmer, wenn die Sonne darauffiel, und Miley sagte mir mindestens einmal die Woche, wie sehr sie mich um diese Haarfarbe beneidete.
»Du bist gerade mal knapp hundert Meilen von Boston entfernt, Süße!«, erinnerte sie mich jetzt. »Hier ist es genauso kalt wie bei euch, glaub mir!«
Ich nickte. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich an, als lägen Tausende von Kilometern zwischen mir und zu Hause, aber ich beschloss, das für mich zu behalten.
»Aber jetzt mal zu den wichtigen Sachen!«, sagte sie. »Wie kommst du mit David voran?« Sie stellte diese Frage so begierig, dass ich lachen musste.
»Das klingt ja, als sei er ein Projekt!«, schmunzelte ich.
»Ist er das nicht?« Sie ließ ihre Haare in Ruhe und hielt die Hand vor die Kamera. An den Fingern zählte sie ab: »Auswählen, Anlauf nehmen, klarmachen. Die Auswahl hat zwar diesmal jemand anderes für dich getroffen, aber der Rest passt schon!«
»Ich bin gerade mal einen Tag hier und David ist wirklich nicht so ein Typ.« Meine Stimme klang
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