Herz aus Glas (German Edition)
etwas lahm, weil mir die Art, wie sie über David sprach, aus irgendeinem Grund nicht behagte.
Neugierig sah Miley mich an. Die Übertragung war nicht besonders gut und ihr Bild ruckelte ziemlich stark, aber trotzdem konnte ich sehen, dass sie mich zu analysieren versuchte. »He!«, sagte sie. »Ist da etwa jemand ein bisschen empfindlich?«
Ich wehrte ab. »Natürlich nicht!« Aber während ich das sagte, dachte ich daran, wie ich gerade eben bei meinem Vater mein Herz als gläsern bezeichnet hatte. Den Teufel würde ich tun, das gegenüber meiner Freundin zu wiederholen. Ihr Spott wäre mir bis ans Ende meiner Tage sicher gewesen. »Es ist nur so«, fuhr ich fort, »dass ich nicht weiß, was ich mit ihm machen soll. David meine ich.«
»Süße, mir ist klar, dass wir von nichts anderem reden als von deinem David!« Übergangslos wurde Mileys Miene ernst. »Meinst du, dass die Aufgabe, die du übernommen hast, zu heftig für dich ist?«
Die Aufgabe, die ich übernommen hatte …
»Du meinst, ihn davon abzubringen, von der Klippe zu springen?«
Miley schüttelte sich wie ein Hund, der unvermittelt in eiskaltes Wasser geworfen worden war. »Hu!«, machte sie. »Das klingt so melodramatisch!«
Wenn du wüsstest!, dachte ich und biss die Zähne zusammen. Davids Gestalt tauchte vor meinem inneren Auge auf. Sein schmales blasses Gesicht, der Rollkragen. Die Mondscheinsonate. Selbstmordgefährdung. Ja, melodramatisch war definitiv der richtige Ausdruck! Ich hasste alles, was melodramatisch war, vermutlich, weil mein Vater genau damit seine Kohle verdiente. Und trotzdem verspürte ich keinerlei Abwehr gegen David. Als wir aus Boston losgefahren waren, hatte ich noch gedacht, dass meine Hauptaufgabe hier auf der Insel darin bestehen würde, die Launen eines verwöhnten Upperclass-Teenagers auszuhalten und mich nicht zu sehr über die verpasste Silvesterparty mit meinen Freunden zu ärgern. Aber diese Vorstellung war in dem Moment zerbröselt, als ich zum allerersten Mal in Davids rote Augen gesehen hatte. In seinem Blick war keine Spur von übertriebenem Weltschmerz gewesen, sondern echte Qual. Die Reserviertheit, die ich vorsorglich wie eine eiserne Rüstung angelegt hatte, war innerhalb eines Sekundenbruchteils pulverisiert.
»Er spielt nachts Klavier«, murmelte ich. »Beethovens Mondscheinsonate.«
Miley griff wieder nach ihren Haaren. Sie bekam auch Klavierstunden, darum kannte sie das Stück. »Krass! Bist du sicher, dass er nicht springen wird?«
»Ehrlich? Ich habe keine Ahnung! Er hat mich bis jetzt nicht an sich rangelassen.« Genau genommen stimmte das nicht, dachte ich. Henry hatte behauptet, dass David sich bisher noch nie jemandem geöffnet und von den Minuten auf der Klippe erzählt hatte. Bei mir war das jedoch anders gewesen. War das ein gutes Zeichen? Ein Anfang?
Ich ertappte mich dabei, dass ich mir genau das wünschte.
»Du siehst verliebt aus!«, stellte Miley fest.
Ich schnaubte. »Schwachsinn!«
»Glaub mir, Süße! Ich kenne dich! Wenn du so schaust, dann bist du entweder gerade dabei, dich zu verlieben, oder aber schon rettungslos verloren! Das letzte Mal hast du so geguckt, als du diesen Surfertypen … wie hieß er noch?« Sie klimperte mit den Lidern, um mir zu zeigen, von wem sie sprach.
»Lukas«, antwortete ich lahm. Ich hatte Lukas im Urlaub auf Barbados kennengelernt, wo Miley und ich gemeinsam gewesen waren. Er hatte die dumme Angewohnheit gehabt, jeden seiner Sätze mit einem albernen Augenaufschlag zu begleiten, weil er dachte, das sähe sexy aus. »Aber David ist nicht …« Ich unterbrach mich, weil Miley breit grinste.
»Lukas!«, sagte sie nur. »Schon klar! Was willst du jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht. Eigentlich habe ich dich deswegen ja angeskypt, weil ich gehofft habe, dass du das weißt!«
Sie lehnte den Kopf gegen die Wand hinter ihrem Rücken. Das Poster von ihrem Idol bekam einen Knick, aber das schien sie nicht zu stören. Vermutlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ding im Altpapier landen würde. »Wenn du mich fragst, dann hängt alles damit zusammen, was auf den Klippen passiert ist. Wenn du das rausfindest, kommst du vielleicht an David ran.«
Ich nickte nachdenklich. »Vielleicht hast du recht«, sagte ich.
Miley schnaubte. »Ich habe immer recht, Herzchen!«
A lter, jetzt mach bloß nicht so ein Gesicht!«, stöhnte Henry nach einem Blick in den Rückspiegel. Es war gegen zwanzig Uhr. Nachdem Miley und ich unser Gespräch beendet
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