Herz dder Pflicht
persönlichen Bemerkungen über das Verhalten anderer Leute machen sollst? Dein Bruder hat viele Verpflichtungen, von denen du keine Kenntnis hast. Eine kurze Entschuldigung wäre in Ordnung.“
„Tante Em hat eine persönliche Bemerkung gemacht, und niemand hat sie dafür zurechtgewiesen“, erwiderte Jack aufmüpfig. „Und was Williams Verpflichtungen betrifft – alle Welt weiß …“
„Master Compton“, sagte Richard in seinem kältesten, strengsten Ton, den er sonst nur bei ungehorsamen Offiziersanwärtern benutzte: „Alle hier am Tisch werden jetzt Zeuge, dass ich dich in dein Zimmer schicke, wo du darüber nachdenken kannst, welche Strafe ich dir morgen auferlege. Höflichkeit Erwachsenen gegenüber ist eine Lektion, die du lernen musst, bevor du dich einen Gentleman nennen darfst. Verbeuge dich vor uns allen und entschuldige dich für deine Anmaßung, bevor du dich zurückziehst. Dann werde ich deine Strafe vielleicht herabsetzen.“
Jack stand auf und tat, wie ihm geheißen. William, der den Mund bereits geöffnet hatte, um ihn zu schelten, ehe Richard ihm zuvorgekommen war, erklärte: „Ganz richtig, Mr. Ritchie. Es wird Zeit, dass der Junge Manieren und Etikette lernt – etwas, das der erbärmliche Sutton versäumt hat, ihm beizubringen.“
Pandora und Tante Em blickten William verwundert an. Er hatte bis zu diesem Moment nie auch nur das leiseste Interesse an Jacks Erziehung gezeigt.
Nachdem der Junge das Zimmer verlassen hatte, sagte Pandora leise: „Ich finde, dass sich Jacks Benehmen sehr gebessert hat, seit Mr. Ritchie hier ist, und es freut mich sehr, dass du ihn unterstützt, Bruder.“
Sie zeigte William ihre Zustimmung, indem sie ihn Bruder nannte, was sie außerordentlich selten tat.
William lächelte sie unsicher an. „Du hast recht, Schwester. Mein eigener Hauslehrer war leider ein nachlässiger Mensch. Zudem habe ich mich einer schlechten Gesellschaft angeschlossen, als ich nach Oxford gegangen bin.“
Welch ein Wunder, dass William Zeichen moralischer Besse rung zeigt, dachte Pandora. Hoffentlich ist das von Dauer.
Richards Gedanken bewegten sich in die gleiche Richtung. Was ihn indes ebenso beunruhigte wie die Anstrengung, die es kostete, William bei der Stange zu halten, war, dass sich ein Unwetter ankündigte. Während sie nach Hause geritten waren, hatte der Himmel sich gelblich gefärbt, und aus der Ferne war Donnergrollen zu hören gewesen. Im Stallhof angekommen, hatte George ihnen erklärt, dass ein heftiger Sturm im Anzug sei.
„Sommergewitter sind in dieser Gegend sehr unangenehm“, hatte er gesagt. „Die See wird heute Nacht sehr rau sein.“
Hat George versucht, mir etwas mitzuteilen?, fragte Richard sich. Es war nicht das erste Mal, dass der Reitknecht eine vieldeutige Bemerkung machte, dazu bestimmt, ihn zu warnen oder zumindest zu informieren. Auch wenn George nicht am Schmuggel beteiligt war, wusste er bestimmt, dass in der Nacht eine Transaktion bei Howell’s End stattfinden sollte und eine Warnung vor heranziehendem schlechten Wetter sich möglicherweise als nützlich erweisen konnte.
Als Richard später die grobe Kleidung eines Arbeiters anzog, die er als Dunkler Rächer getragen hatte, zuckten die ersten Blitze über den Himmel. Der darauf folgende Donner klang weit entfernt, und obwohl Wind aufgekommen war, hatte es bislang nicht zu regnen angefangen.
Er hatte verabredet, sich mit William auf dem Sattelplatz hinter dem Stall zu treffen – um zehn Uhr, wenn es dunkel geworden war. Doch zuerst musste er Bragg instruieren, der ihnen in einiger Entfernung folgen sollte. Obwohl das möglicherweise schwierig sein würde, wenn ein heftiger Gewittersturm ausbrach.
Im Spiegel zeigte sich Richard ein Mann, der weder dem zurückhaltenden Mr. Ritchie noch dem Soldaten Major Chancellor ähnelte. Stattdessen sah er wie einer der örtlichen Gentlemen aus, die seit hundert Jahren den Zollbeamten trotzten. Außerdem hatte Bragg ein Paar Stiefel von der Art für ihn gefunden, wie sie sowohl die Schmuggler als auch die Leute vom Zoll trugen, so dass er sich unter die Männer mischen konnte, die sich am Strand versammeln würden. William sollte sich wie ein Landadliger kleiden, der zum Jagen unterwegs war.
Bevor Richard aufbrach, rieb er sich kalte Asche aus dem Kamin ins Gesicht und zerstrubbelte seine Haare, über die er anschließend eine der Wollmützen mit Pompon zog, wie sie die Leute aus der Gegend bei schlechtem Wetter trugen. So verkleidet hoffte er,
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