Herz des Winters (German Edition)
war. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er noch mehr erzählen würde, und war überrascht, als er nach einer Weile fortfuhr: „Ich hatte auch einmal eine Familie. Eine wundervolle Frau. Drei großartige Kinder. Sie waren meine Sonne, mein Leben.“ Ein trockenes Lachen ließ die Tasche vibrieren, und ein kleiner Funke des altbekannten sarkastischen Berekh kam zum Vorschein. „Das hättest du mir wohl nicht zugetraut, was?“
Insgeheim musste Daena ihm zustimmen. Berekh der Totenschädel war ihr immer so solide und präsent vorgekommen, dass sie nie darüber nachgedacht hatte, dass es auch einmal Berekh, den Menschen gegeben haben musste.
„Was ist passiert?“
Tiefrotes Licht drang aus der Tasche, so hell, dass Daena schnell die Decke über sich und den Beutel ziehen musste. „Der Krieg kam.“
„Die Morochai?“, fragte sie mitfühlend. Die Echsen waren zwar erst vor wenigen Jahren in Yarun und den umliegenden Ländern eingefallen, doch es konnte gut sein, dass es nicht das erste Mal gewesen war. Berekh jedoch schüttelte den Kopf – also, sich selbst.
„Menschen gegen Menschen. Ein Krieg wie so viele davor und so viele danach. Ich bin auf zahllosen Schlachtfeldern gestanden, um die Feinde abzuwehren. Aber als es vorbei war … Als ich nach Hause kam, war alles zerstört, wofür ich gekämpft hatte. Deserteure waren durch das Land gezogen, hatten geplündert und gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet. Und niemand konnte mir sagen, ob es die Gegner oder unsere eigenen Leute gewesen waren.“
„Was hast du dann gemacht?“ Daena graute vor der Antwort, die sie bekommen würde. Sie hoffte, dass sie sich die plötzliche Kälte nur einbildete, doch auch auf den umliegenden Betten begannen die Leute, zu zittern und sich fester in ihre Decken zu wickeln.
„Dann“, kam es ruhig und gefasst aus der Tasche, „bin ich auf die Jagd gegangen.“
***
Daena hatte kaum geschlafen. Berekh hatte nichts weiter gesprochen, aber seine kurzen Enthüllungen waren erschütternd genug gewesen. Der Schmerz in seiner Stimme hatte echt geklungen. Dadurch schienen mit einem Mal all die Dinge sehr viel glaubwürdiger, die Daena bisher für aufschneiderisches Gerede gehalten hatte. Was ihren Gefährten in ein unheimliches Licht rückte.
Trotz der wenig erholsamen Nacht packte sie bereits vor Morgengrauen ihre Sachen zusammen und schlängelte sich durch den Schlafsaal. Sie wollte so schnell wie möglich so viel Land wie möglich zwischen sich und die eroberte Stadt bringen.
Wie sie feststellen musste, war sie jedoch nicht die Einzige, die bereits auf den Beinen war. Sobald sie durch der Doppeltür in die Vorkammer schlüpfte, lief sie einem schmächtigen Mann in die Arme. In ihm erkannte sie den Priester, der sie im Dorf empfangen hatte.
Sie nickte ihm zu und wollte an ihm vorbei ins Freie, doch er hielt sie zurück.
„Bitte, einen Augenblick. Du bist eine Kämpferin?“
Widerspruch war zwecklos, da sie bewusst Kleidung trug, die ihre Tätowierung den Blicken preisgab – den Wappengreif der Kämpferakademie, der auf ihrem rechten Oberarm prangte. Einerseits, um ungesunder Gesellschaft vorzubeugen, andererseits, um potentielle Auftraggeber zu ermutigen. Sie entsprach nich gerade dem Bild, das die Leute sich von heldenhaften Kämpfern machten, was leider zu oft in mangelndes Vertrauen in ihre Fähigkeiten resultierte.
Daher nickte sie bloß noch einmal und sah den Priester auffordernd an.
„In Rinnval sammeln sich Truppen. Jeder, der sich anschließt, ist willkommen.“
Das überraschte Daena nicht. Rinnval, die gigantische unterirdische Hauptstadt der Schneeberge von Zlaival, galt als gut befestigt und war von den fliegenden Eindringlingen wohl noch nicht einmal entdeckt worden. Wenn sich Truppen zum Widerstand sammelten, war dort der geeignetste Ort. Bis zu diesem Moment hatte sie allerdings nie darüber nachgedacht, geschweige denn darüber, sich ihnen anzuschließen.
„Danke“, brachte sie schließlich hervor. Der Priester drückte ihr segnend den Daumen auf Kinn und Stirn, ehe er durch die Doppeltür im Schlafraum verschwand.
Daena zögerte nicht länger und verließ Tempel und Dorf. Und auch wenn sie sich weigerte, es als bewusste Entscheidung anzuerkennen, wählte sie die Richtung, die von Zlaival fortführte und die sie nach Yarun bringen würde – ihr Heimatland, und allem Anschein nach auch das von Berekh.
2
Das Wasser war so kalt, dass Daena einige Male fluchend durchatmen musste, ehe sie
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