HERZ HINTER DORNEN
Freundschaft zu garnieren.
Ein einziger Blick in das zornige, kantige Antlitz des jungen Königs hatte genügt, um seine schlimmsten Befürchtungen Wahrheit werden zu lassen. Rufus reihte sich in die Zahl jener Menschen ein, die ihn geschätzt hatten und die er zum Dank dafür verraten hatte.
Die beiden Bewaffneten, die den hastig versorgten Verletzten vor den König geschleppt hatten, warfen ihn mit einem harten Stoß in den Rücken vor dem Monarchen zu Boden.
Rufus hatte darauf verzichtet, sein Zelt mit dem üblichen Luxus ausstatten zu lassen. Das von zahllosen Stiefeln zertrampelte Wintergras fühlte sich schlammig und kalt unter Justins verletzter Wange an. Der Riss brannte wie Feuer, weil er auf seine verletzte Schulter gefallen war und hilflos in dieser Lage verharren musste.
»So sieht man sich also wieder, Messire de Luthais«, knirschte der König und fügte seinen Worten einen rüden Fußtritt in die Rippen des Grafen hinzu. Dass er es auf der unverletzten Seite tat, war sicher nur ein Zufall.
Ryan of Hythe stand im Hintergrund des Zeltes, die Arme vor der athletischen Brust verschränkt und die Augen in düsterem Graublau nachdenklich verengt. Er hatte Erntezeit und Herbst mit seiner Familie in der Festung am Solent verbracht und jene kurzen, glanzvollen Wochen verpasst, in denen der Graf den König amüsiert, fasziniert und vielleicht sogar beeinflusst hatte. Doch auch ohne dieses Wissen fiel ihm auf, dass mehr hinter dem Zorn des Fürsten steckte als nur die Enttäuschung über einen Ritter, der auf der falschen Seite kämpfte. Was hatte Justin d'Amonceux dem König getan, um ein solches Maß an Rage zu verursachen?
»Wenn ich mich recht erinnere, habt Ihr Euch bei unserem letzten Treffen erboten, ein Problem für mich zu lösen«, hörte der Baron den König in schneidendem Ton sagen. »Wie es den Anschein hat, habt Ihr es stattdessen vorgezogen, Euch aus dem Staub zu machen und sowohl mich als auch die Familie der Demoiselle de Cambremer in höchster Sorge und ohne jede Nachricht über das Schicksal des Mädchens zurückzulassen.«
Ryan of Hythe machte einen spontanen Schritt nach vorn. Der König hob eine Hand, um ihn davon abzuhalten, sich einzumischen. Der junge Sachse knirschte mit den Zähnen. Es gelang ihm nur mit Mühe, diesem Befehl zu gehorchen.
Mittlerweile hatte sich der Gefangene in eine kniende Position hoch gerappelt. Er wischte sich Blut und Schmutz aus dem Mundwinkel und seine Stimme klang rau und gepresst, als er dem König antwortete. Freilich fehlte sogar in diesem Augenblick seinem Ton jede Unterwürfigkeit. »Die Dame hat es vorgezogen, in die Sicherheit eines Klosters gebracht zu werden. Mich ließ sie in dem Glauben, dass sie ihren König und ihre Familie von diesem Wunsch in Kenntnis setzen werde. Als ich sie verließ, war sie bei bester Gesundheit.«
»Dann wisst Ihr, wo sich dieses Teufelskind aufhält?«, rutschte es dem Baron heraus, der von jeher der sanften Miene seiner schönen Schwägerin nicht über den Weg getraut hatte.
Der Kopf des Grafen wandte sich in seine Richtung. Auf den ersten Blick konnte er mit dem breitschultrigen blonden Hünen nichts anfangen, der einen Waffenrock mit dem neuen Wappen von Hythe trug und sich mit einer Ungezwungenheit im Zelt des Königs bewegte, die auf große Vertrautheit schließen ließ. Der Normanne war Ryan of Hythe vor vielen Jahren kurz begegnet, als er mit Sophia-Rose nach Hawkstone kam. Damals hatte seine Aufmerksamkeit indes in erster Linie der Frau gegolten, die er zu diesem Zeitpunkt noch für seine Verlobte gehalten hatte.
»Antwortet dem Baron von Aylesbury«, schnauzte der König und löste damit unbeabsichtigt das Rätsel für seinen Gefangenen.
Sophias Gatte! Der Mann, den er in seiner Eifersucht verwünscht hatte ... Es schien in einem anderen Leben gewesen zu sein. Was er für Sophia-Rose empfunden hatte, war nur ein leiser Hauch im Vergleich zu den aufwühlenden, vielfältigen Gefühlen gewesen, die ihn durchfuhren, wenn er nur an den Namen ihrer Schwester dachte. Ob sie ihren Frieden bei den Nonnen von Montivilliers gefunden hatte? Es verging kein Tag, an dem er sich das nicht fragte.
»Sie wollte ihrer Familie eine Nachricht schicken«, wiederholte er stur. Roselynnes und seine Wege hatten sich getrennt, dabei sollte es bleiben. Er wollte weder über sie sprechen noch an sie denken.
»Das hat sie getan«, antwortete Ryan of Hythe mit jener Spur von Gereiztheit, die neuerdings alle im Ton hatten, wenn
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