HERZ HINTER DORNEN
bewunderte und auch ein wenig fürchtete.
Schon deswegen verspürte der Herrscher keine große Lust, diese leidige Aufgabe in Angriff zu nehmen. Der verdienstvolle Ritter seines Vaters hatte ihm diese Tochter anvertraut und musste mit Recht davon ausgehen, dass sie bei Hofe vor allen Gefahren geschützt wurde. Wie sollte er ihm erklären, was geschehen war?
Auch Justin d'Amonceux hatte seine Erfahrungen mit dem schwierigen Charakter des Lords gemacht, und er legte keinen Wert darauf, ausgerechnet diesem Mann über den Weg zu laufen. Närrische Väter, die ihre Töchter für etwas Besonderes hielten, waren schwierig genug. Aber solche, die auch noch allen Grund dafür hatten, waren erst recht mit Vorsicht zu genießen. Die Vernunft riet ihm, Winchester umgehend zu verlassen und wenigstens das Wort zu halten, welches sich Roselynne de Cambremer mit ihrem Körper und ihrem Herzen von ihm erkauft hatte.
Allein, er war über den Punkt hinaus, an dem diese Vernunft seine Handlungen bestimmte. Seine Sorge um Roselynne wischte alle anderen Argumente beiseite. Bei Licht betrachtet, war er zudem der Einzige, der wirklich etwas für sie tun konnte. Je eher er aufbrach, umso kürzer würde die Zeit bemessen sein, die sie in den Pranken des Schotten verbringen musste. Doch zuvor galt es den König von diesem Plan zu überzeugen.
Er passte Rufus vor dem abendlichen Mahl in der großen Halle ab, und der Monarch gewährte ihm erstaunt ein Gespräch unter vier Augen.
»Folgt mir hinaus auf die Mauern, wenn Ihr den Regen nicht fürchtet, mein Freund«, brummte er griesgrämig. »Mir ist ohnehin der Appetit vergangen und ich lechze nach ein wenig frischer Luft «
»Ich fürchte, auch meine Neuigkeiten werden Euch auf den Magen schlagen, Sire«, nahm der Seigneur den Stier direkt bei den Hörnen. »Ich glaube zu wissen, wo sich die Demoiselle de Cambremer befindet.«
»Da soll doch gleich ... Wo?«
Der König packte den Arm des Seigneurs und zog ihn in den Lichtkreis der nächsten Fackel, die zwar in der Feuchtigkeit rauchte und zischte, aber doch genügend Helligkeit spendete, um die Züge des Normannen zu prüfen. »Habt Ihr etwa Eure Finger mit im Spiel?«
»Weniger ich als der schottische Gesandte, Sire!«
»Graf Robert Duncan?«
»Eben jener. Es hat ganz den Anschein, dass er eine unheilvolle Leidenschaft für die Dame entwickelt hat und nicht davor zurückgeschreckt ist, sie gewaltsam in seine Heimat zu entführen.«
Der König murmelte einen Fluch. »Woher wollt Ihr das wissen?«
»Ich hatte einen Verdacht in dieser Richtung und meine Nachforschungen haben ihn bestätigt.« Der Graf konnte nur hoffen, dass der König darauf verzichten würde, ihn zu fragen, aus welchen Motiven er diese Nachforschungen angestellt hatte. »Eine der anderen Hofdamen berichtete mir, dass der Schotte Dame Roselynne schon auf der großen Hofjagd nachstellte. Ich selbst habe ihn einmal mit dem Dolch davon abhalten müssen, ihr zu nahe zu treten, und am Ende musste auch die Torwache einräumen, dass möglicherweise eine zweite, kleinere Person mit auf seinem Pferd saß, als er die Burg heute morgen verließ. Einer der Schotten hatte schon vorher dafür gesorgt, dass das Tor für ihn geöffnet war. Die Wache sah nur galoppierende Pferde und Schemen im Regen verschwinden.«
»Kreuzdonnerwetter!«, fluchte der König, und Justin d'Amonceux konnte es ihm nicht nachtragen. »Wenn das stimmt, sind mir die Hände gebunden. Ich habe den Schotten freies Geleit zugesichert.«
»Genau das weiß auch Graf Duncan«, nickte der Normanne. »Wenn Ihr ihm Eure Männer nachschickt, sieht es so aus, als würdet Ihr den mühsam geschaffenen Frieden von neuem gefährden wollen.«
Der Regen fiel nun in ununterbrochenem Rauschen vom Himmel. Die dicken Tropfen zerplatzten zwischen ihnen in kleinen Fontänen auf den Steinen und beiden Männern fielen nasse Haarsträhnen in die Stirn. Dennoch machte keiner den Versuch, unter den schützenden Vorsprung des nächsten Turmes zu treten. Das Wetter war ihre geringste Sorge.
Rufus blinzelte die winzigen Tropfen von seinen überraschend langen roten Wimpern und warf seinem Begleiter einen ebenso interessierten wie hoffnungsvollen Blick zu. »Kann es sein, dass sich das gerade so anhört, als hättet Ihr einen Vorschlag für mich?«
»In der Tat.« Justin d'Amonceux straffte sich zu seiner ganzen beträchtlichen Länge. »Erlaubt mir, dem Schotten zu folgen!«
In die Hoffnung des Königs mischte sich erkennbares
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