HERZ HINTER DORNEN
trauen, obwohl sie ihm Frieden geschworen haben. Er muss so schnell wie möglich wieder nach England zurück, um seine Nordgrenzen zu sichern. Ich vermute, alles Weitere hängt eher von Robert Kurzhose ab. Wenn er auf die Bedingungen eingeht, die sein jüngerer Bruder stellt ...«
»Heilige Mutter Gottes, beschütze uns!« Der Rosenkranz klickte noch emsiger. »Robert Kurzhose ist ebenfalls nicht gerade für seine Einsicht bekannt.«
Roselynne schluckte. Das weiße Gebinde spannte eng um ihr Antlitz und ihre Kopfhaut unter dem Schleier juckte unheilvoll. Wer mochte alles unter den Kriegern des Königs gewesen sein? Ihr Vater? Der Gatte ihrer Schwester? Ihr kleiner Bruder? Er war inzwischen alt genug, um Rufus als Page zu dienen. Sie verschlang die nervösen Finger vor der Taille und versuchte Ruhe zu bewahren. Auch Mutter Laurentine, die gewöhnlich nichts erschüttern konnte, zeigte Spuren der Nervosität.
»Aber sie haben dieselbe Mutter gehabt ...«, wisperte Roselynne beschwörend.
»Auch Kain und Abel waren Brüder«, entgegnete die Nonne trocken. »Die Bibel sagt uns, dass diese Tatsache nicht zwingend zum Frieden führt.«
Es war keine Bemerkung von der Sorte, die Roselynne beruhigte. Das Kind in ihrem Bauch schlug einen Purzelbaum und wies sie hartnäckig darauf hin, dass sie noch einen weiteren Grund zur Sorge hatte. Auch wenn sie sich noch so sehr dagegen wehrte, sie musste es wissen!
»Kann es denn sein ... wisst Ihr ... Wäre es möglich, dass ...« Sie brach ab und schämte sich für das wirre Gestammel. Seit wann war sie so feige?
»Habt Ihr von Eurem Neffen gehört?«, zwang sie sich zu mehr Besonnenheit. »War er unter den Männern des Herzogs?«
»Ich nehme es an«, antwortete Mutter Laurentine betont neutral. »Immerhin schuldet er Robert von Anjou Vasallendienste.«
Aus Roselynnes gepresster Kehle entrang sich ein so gequälter Laut, dass die Nonne auf sie zutrat und sie in den Arm nahm. »Ihr sorgt Euch um ihn, nicht wahr? Warum habt Ihr ihn davon geschickt, wenn Ihr ihn so gern habt? Was geht eigentlich in Eurem wirren Kopf vor, Kind?«
Die unerwartete Zärtlichkeit der strengen Äbtissin brachte Roselynne nur noch mehr durcheinander. Sie war es so müde, stark zu sein und gegen sich selbst und ihre Gefühle zu kämpfen. Sie sehnte sich nach einer Schulter, an der sie weinen und endlich schwach sein durfte.
Das ganze Leben, das sie hinter sich gelassen hatte, war ihr mit einem Male in den stillen Klosteralltag von Montivilliers gefolgt. Rufus nur einen Tagesritt entfernt, vielleicht sogar ihr Vater.
Was sie für Sicherheit gehalten hatte, entpuppte sich als Illusion, und der vermeintliche Hass, den sie gegen Justin gehegt hatte, als dumme Augenwischerei eines beleidigten Mädchens. Gütiger Himmel, hoffentlich war ihm nichts geschehen!
»Willst du mir nicht endlich erzählen, weshalb er dich zu mir gebracht hat?«
»Um mich loszuwerden!«, platzte Roselynne mit dem kindischsten aller Vorwürfe zuerst heraus. »Er misstraut mir, verachtet mich und glaubt, dass ich ihn verraten habe. Dabei habe ich immer nur ihn geliebt ...«
»Das hört sich nach einer längeren Geschichte an. Komm mit in die Kapelle. Im Angesicht der Mutter Gottes fällt es leichter, über die menschlichen Fehler zu reden. Sie war auch einmal eine Frau, die ihrem Gatten gefallen wollte, und sie weiß um die Tücken des Lebens.«
Mit unerwarteter Herzenswärme dirigierte Mutter Laurentine Roselynne durch den Kreuzgang zum Seitenaltar der himmlischen Mutter. Dicke Honigwachskerzen brannten vor der steinernen Madonna, die mit ihrem pummeligen Kind aus dem Granit der Gegend gemeißelt worden war und eine fast bäuerliche Wärme ausstrahlte. Sie erinnerte Roselynne an ihre alte Kinderfrau in Hawkstone, und sie hatte Mühe, nicht von neuem in Tränen auszubrechen.
Die Äbtissin drängte sie nicht. Sie wartete geduldig ab, bis Roselynne mit stockender Stimme den Bilderteppich ihres dummen Abenteuers vor ihr entrollte. Angefangen vom Verrat ihrer großen Schwester bis zu ihrer Ankunft in Montivilliers. Sie ersparte sich und der ehrwürdigen Mutter die Einzelheiten ihrer fleischlichen Sünden, aber sie geißelte sich sehr wohl dafür, dass sie so viel Gefallen daran gefunden hatte. Mittlerweile war sie sogar überzeugt davon, dass einige der Vorwürfe Justins durchaus berechtigt waren.
Als sie endlich schwieg, war sie heiser, aber seltsam erleichtert. Sie hatte nicht geahnt, wie schwer sie doch an der Tatsache trug, dass
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