Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
der Hühner, Hunde, Ziegen und Schweine, die gewöhnlich im Wirtschaftshof herumliefen, blieben heute in ihren Verschlägen.
    Die junge Edeldame zog den wärmenden Mantel fester um die Schultern und senkte den Kopf, um dem Regen und dem Wind keinen Widerstand zu bieten. Sie fühlte sich unendlich schwach und todmüde. Ausgelaugt und niedergedrückt von Problemen, die zu schwer für ihre schmalen Schultern waren. Vielleicht war dieser Umstand daran schuld, dass ihr die beiden bulligen Männer nicht auffielen, die schwere Reiterumhänge über dem Harnisch trugen und plötzlich neben ihr aus dem Regen auftauchten, als hätte sie ein Magier aus dem Nichts herbeigezaubert.
    Erst als sie rüde an den Oberarmen gepackt und herumgerissen wurde, realisierte sie die Gefahr. Ihr Schreckensschrei wurde unter dem schweren Lederhandschuh zu einem leisen Gurgeln erstickt. Die Kapuze ihres Umhangs rutschte noch tiefer in ihre Stirn. Schock und Luftmangel ließen ihr die Sinne schwinden und sie sank in sich zusammen.
    Schon spürte sie nicht mehr, dass sie einfach davongetragen wurde. Unweit der Ställe wartete ein gewappneter Reisetrupp, der sich mit seinen Pferden so schnell und geschickt um die kleine Gruppe schloss, das nicht einmal ein flüchtiger Zeuge Verdacht geschöpft hätte. Allein, da war niemand. Sogar die Pferdeknechte hatten sich wieder unter das Dach des Stalls geflüchtet. Keine Menschenseele sah das düstere Funkeln in den Pupillen des Anführers, als er die reglose Gestalt in Empfang nahm und vor sich im Sattel barg.
    Die fröstelnde Wache am Haupttor machte sich nicht die Mühe, den Trupp zu kontrollieren oder gar aufzuhalten. Wenn die Schotten verrückt genug waren, an einem solchen Tag die Heimreise anzutreten, dann würde sie niemand in der Burg des Königs halten.
    Winchester sah die schottische Gesandtschaft gern davon reiten. Die Männer zwangen ihre Rösser zu scharfem Galopp, aber die Straßen waren so leer, dass ihnen niemand Platz machen musste. Sie verschwanden, wie sie gekommen waren, ein düsterer Spuk.
    »Heilige Mutter Gottes! Es ist heller Vormittag, Ihr könnt doch nicht immer noch schlafen!«
    Die Kammerfrau stieß die hölzernen Läden des Gemachs auf und wandte sich dem Alkoven zu, um ihre junge Herrin noch ein wenig ausgiebiger zu schelten. Freilich blieb ihr die Tirade beim Anblick der zerrauften, leeren Laken im Halse stecken.
    »Da soll doch ...«, murmelte sie und trat näher an das Bett, um sich mit ungläubigen Augen davon zu überzeugen, dass tatsächlich niemand unter dem Wust aus Decken und Kissen verborgen lag.
    Zwischen den Vorhängen des Bettes, die zum Kopfende und zur linken Seite hin noch geschlossen waren, hatte sich jedoch ein so unverkennbarer Duft nach Unzucht und Mann gefangen, dass sie vor Schreck zurückstolperte. Ihre Herrin und ein Mann? Unmöglich! Freilich sprachen die getrockneten Blutflecken auf dem zerwühlten Laken und diverse andere Spuren ihre eigene, unmissverständliche Sprache. Wo steckte das Unglücksmädchen?
    »Gütige Mutter!«, stammelte Maud fassungslos und zog in einer nachtwandlerischen Bewegung die Decke über die verräterischen Male, ehe sie die Arme in die Hüften stemmte und sich umsah. Wo hatte sich der Fratz vor den Folgen seines Leichtsinns versteckt? Was hatte Roselynne de Cambremer in ihrer ungezähmten Sorglosigkeit getan, und wie sollte sie das der Lady, ihrer Mutter, erklären, geschweige denn ihrer Kinderfrau Grytha?
    »Welch ein Unglück!«
    Maud rang die Hände und entdeckte dabei die offene Kleidertruhe und das für sie so typische Durcheinander, das Roselynne auf ihrer hastigen Suche nach einem warmen Gewand angerichtet hatte.
    Es war die Truhe mit den einfachen Hauskleidern, die Roselynne mehr aus Sentimentalität denn aus Notwendigkeit in diesem Raum behielt. Normalerweise trug sie delikatere Stoffe, Samt, bestickten Atlas, Seide und hauchfeine Schleier, die auf geheimnisvollen Transportwegen auf die Insel kamen und in weiter Ferne gefertigt wurden. Weshalb plötzlich gesponnene Wolle aus Hawkstone? Weil sie sich verkleiden wollte? Wozu? Für eine Flucht?
    Die Kammerfrau bekreuzigte sich hastig, als könnte sie so die Fülle ihrer Befürchtungen eindämmen. Dann schloss sie die Truhe und machte sich auf die Suche nach ihrer Herrin, jedoch nicht ohne vorher das befleckte Leinen vom Bett entfernt und ebenfalls in der Truhe geborgen zu haben. Eine Mischung aus Loyalität und Zuneigung zwang sie dazu, Roselynne wenigstens vor dem

Weitere Kostenlose Bücher