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Herz im Spiel

Herz im Spiel

Titel: Herz im Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Cheney
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würde, trat vor und legte die Hand an die Mütze. „Tom Moffit zu Ihren Diensten, meine Damen.“
    „Kannst du uns nun sagen, wohin du ihn gebracht hast?“, fragte Rachel atemlos.
    „Tja, Miss, sagen könnt’ ich’s Ihnen schon, aber Sie hätten sich verlaufen, ehe Sie um die erste Ecke gebogen wären, und mit dem, was Sie da in der Tasche haben, wär’s auch gefährlich. Am besten ist es, wenn ich Ihnen den Weg zeige.“
    Der Bursche wandte sich zum Gehen, und die Damen sahen sich an. Rachel zog die Augenbrauen hoch, und Marianne antwortete mit einem Achselzucken.
    „Na, kommen Sie jetzt oder nicht?“, rief der junge Tom Moffit ungeduldig, und sie folgten ihm, ohne länger zu zaudern.
    Tom führte sie von den breiten, sauberen Straßen in der Nähe der Nationalbank fort. Da es Winter war, brach der Abend früh herein. Die Straßenlaternen erleuchteten die Umgebung der Bank fast taghell und tauchten die Nebenstraßen wenigstens in Zwielicht.
    Schließlich bog der Bursche von einer mäßig belebten Straße in eine der verlassenen Seitengassen ein, die außer durch den schwachen Kerzenschein hinter einigen Fenstern fast gar nicht beleuchtet war.
    Die Gegend wurde immer trister, und die Schritte der jungen Damen langsamer. Marianne hatte von Londons trügerischem Morast gesprochen, und den hatten sie nun mit Sicherheit entdeckt. Der Bursche, dem sie folgten, marschierte munter weiter und hatte die beiden jungen Damen bald weit hinter sich gelassen.
    Mit einem Mal standen sie allein in der Dunkelheit, und als sie sich beeilten, um den Jungen wieder einzuholen, klapperten die Absätze ihrer Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster der leeren Gasse.
    Plötzlich hielt Marianne inne. „Ich kenne diese Gegend“, flüsterte sie. „Ich … ich habe hier einmal gewohnt.“
    „Sie haben hier gelebt?“, fragte Rachel ungläubig.
    „Als meine Eltern starben, wurde ich einem Mann, der hier sein Haus hatte, als Mündel zugewiesen. An dieser Ecke stand immer ein Buchhändler mit seinem Karren, und da lebte die alte Mrs Daniel“, erklärte Marianne und wies zu einem Fenster im Haus gegenüber. Das Zimmer dahinter war finster und leer und offensichtlich schon lange unbewohnt.
    In Mariannes Stimme schwang Staunen mit. Dies waren Dinge, an die sie sich seit Jahren nicht mehr erinnert hatte und die ihr jetzt so unwirklich erschienen, vor allem diese finstere, wie ausgestorben wirkende Straße. „Aber damals war es nicht so“, wandte sie ein.
    Rachel zupfte Marianne am Ärmel. „Kommen Sie. Ich glaube, ich sehe Tom Moffit, aber bei dieser Dunkelheit bin ich nicht sicher. Ich möchte ihn nicht noch einmal verlieren, besonders nicht gerade hier“, drängte sie.
    „Ich weiß, wohin er gegangen ist“, erklärte Marianne fest. „East Coventry Lane Nummer sechzehn.“
    Rachel blickte Marianne, die neben ihr ging, verwirrt an, aber sie hatte keine Zeit zu fragen, woher Marianne das alles wusste. Der Junge, dem sie folgten, war jetzt kaum noch zu erkennen, und Rachel fiel in einen Laufschritt, ohne Mariannes Hand loszulassen.
    Notgedrungen musste Marianne ihr folgen, und wenige Augenblicke später standen sie schwer atmend neben ihrem jungen Führer. Der Bursche wies auf das schäbige Gebäude vor ihnen. Nummer sechzehn.
    „Da drinnen“, sagte er. Er flüsterte nicht gerade, doch er sprach sehr leise, und die jungen Damen taten es ihm unwillkürlich nach.
    „Was ist passiert, als Mr Brewster hier ankam?“, fragte Marianne.
    „Gar nichts“, antwortete Tom. „Ich hab’ den Mann in die East Coventry Lane gebracht, er hat Münzen gegeben, und danach bin ich gegangen.“
    „Und Mr Brewster blieb?“, hakte Rachel nach.
    „Ja, Ma’am.“

    „Wie lange?“, fragte sie.
    „Das kann ich nicht genau sagen, Miss. Ich weiß bloß, dass wir herkamen und er reingegangen ist.“
    „Wer ist da? Heda! Wer steht da unten auf der Straße?“ Sie schraken zusammen. Die Stimme kam von oben, aus einem der offenen Fenster über ihnen. Alt und kratzig klang sie, doch Marianne erkannte die Stimme, und ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ängstlich duckte sie sich wieder in den Schatten der weit vorstehenden Dachrinne und zog Rachel mit sich.
    „Wer ist da, zum Donnerwetter?“
    „Wir sind …“, begann Tom Moffit, aber Marianne gestikulierte wild, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und schüttelte dann heftig den Kopf, als er in ihre Richtung blickte. „Ich bin’s, Mister, Tom Moffit“, beendete der Bursche seinen

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