Herz in Fesseln
er sie besuchen und vielleicht sogar gelegentlich während der Mittagspause hereinschneien, um mit ihr zu schlafen …
An diesem Punkt setzte Annas gesunder Menschenverstand wieder ein. „Das ist also deine Vorstellung von einem Kompromiss?“, fragte sie bitter und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Dass ich alles aufgebe, wofür ich gearbeitet habe, während für dich alles beim Alten bleibt? Tut mir leid, Damon, aber dazu bin ich nicht bereit. Ich werde nie meine Unabhängigkeit für einen Mann aufgeben. Nicht einmal für dich.“
Das war es dann gewesen.
Der Abschied von Ianthe hatte Anna fast das Herz zerrissen. Die Kleine wollte sie gar nicht wieder loslassen und fragte immer wieder, wann sie denn wiederkäme. Anna hatte irgendetwas Ausweichendes erwidert und sich dabei wie eine schäbige Verräterin gefühlt.
Währenddessen hatte Damon mit versteinerter Miene danebengestanden und geschwiegen. Auch während der Fahrt zum Hafen sagte er nichts, aber als sie dann auf die Fähre steigen wollte, hatte er sie an der Schulter festgehalten und noch einmal zu sich herumgedreht.
„Es ist nicht vorbei, Anna“, waren seine letzten Worte gewesen. „Ich weiß nicht, was du von mir erwartest, und ich vermute, dass du es selbst nicht so genau weißt. Aber wenn du es herausgefunden hast, werde ich da sein und auf dich warten.“
Am Flughafen Charles de Gaulle nahm Anna sich einen Mietwagen und kaufte eine Straßenkarte von Nordfrankreich. Als sie endlich das abgelegene Landhaus erreichte, in dem ihre Mutter mit ihrem dritten Ehemann lebte, dämmerte es bereits.
Damon hatte ihr erzählt, dass Charles Aldridge ein sympathischer und anständiger Mann sei, und um Judiths willen hoffte sie, dass es stimmte. Als sie den Wagen auf dem mit Natursteinen gepflasterten Hof parkte, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, woher der plötzliche Drang gekommen war, ihre Mutter zu sehen. In den vergangenen Jahren hatte sich ihr Kontakt auf sporadische Telefonate beschränkt, aber jetzt, da sie seelisch völlig am Ende war, sehnte sie sich verzweifelt nach ihrer vertrauten Nähe.
„Du liebe Güte, Anna! Was machst du denn hier?“ Judith traute ihren Augen kaum, als sie ihrer Tochter die Tür öffnete. „Nicht, dass du nicht willkommen wärst“, fügte sie rasch hinzu, „aber ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass du mich jemals besuchen würdest.“
Mit einem strahlenden Lächeln betrachtete sie Anna von Kopf bis Fuß. „Du ahnst ja nicht, wie wundervoll es ist, dich zu sehen, Liebling. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er dich tatsächlich überreden konnte, hierherzukommen. Hast du ihn mitgebracht?“ Suchend ließ sie den Blick über den Hof schweifen.
Anna zog verständnislos die Stirn kraus. „Von wem redest du?“
„Von Damon natürlich“, erwiderte ihre Mutter, als wäre es die dümmste Frage der Welt. „Als er mich vor einem Monat besucht hat, schien er sich große Sorgen um dich zu machen. Er sagte, es ginge dir nicht sehr gut und dass er vermuten würde, es habe etwas mit deinem Vater zu tun. Als ich ihm dann von der Scheidung und der schwierigen Zeit danach erzählte, hat er unglaublich sensibel und mitfühlend reagiert. Er schien genau zu verstehen, wie sehr du unter der Situation …“
Bestürzt verstummte sie, als sie die mühsam zurückgehaltenen Tränen in Annas Augen sah. „Was ist denn passiert, Kind? Habt ihr euch gestritten? Aber jetzt komm erst einmal ins Haus. Ich mache dir einen schönen Tee, und dann erzählst du mir in Ruhe alles.“
Fürsorglich legte sie ihrer Tochter den Arm um die Schul tern und führte sie in eine große gemütliche Küche. Dort angekommen, drückte sie sie sanft auf einen der Stühle, die um einen rustikalen Holztisch standen.
„Ich bin sicher, das kommt wieder in Ordnung“, meinte sie zuversichtlich, während sie Wasser aufsetzte und Tee in eine Kanne gab. „Damon ist ein wunderbarer Mann, und er liebt dich wirklich sehr.“
„Das tut er nicht!“, brach es aus Anna heraus, die ihren Kummer nicht länger zurückhalten konnte. „Er liebt immer noch seine erste Frau. Sein ganzes Haus ist voller Erinnerungen an sie, und er hat mich sogar an den Ort gebracht, wo er mit ihr die Flitterwochen verbracht hat. Sie war so schön und begabt, und ich werde nie gegen die Erinnerung an sie ankommen!“
„Sei nicht dumm, Liebes.“ Judith ging zu ihr und drückte sie tröstend an sich. „Ich bin sicher, dass du mit niemandem konkurrieren musst.
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