Herz in Fesseln
Vielleicht bin ich bei der Wahl meiner beiden ersten Ehemänner nicht sehr klug gewesen, aber ich erkenne echte Liebe, wenn ich sie sehe. Und ich habe sie in Damons Augen gesehen, als er von dir gesprochen hat“, fügte sie bestimmt hinzu.
Eine Weile saß Anna reglos da und ließ die Worte ihrer Mutter auf sich einwirken. Dann brach sie in Tränen aus. „Ich glaube, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht“, stieß sie schluchzend hervor. „Aber ich hatte solche Angst, genauso besitzergreifend und eifersüchtig zu werden wie …“, erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was sie beinahe gesagt hätte.
„Wie ich?“, beendete Judith ruhig den Satz für sie. Sie ging zum Herd zurück und bereitete schweigend den Tee zu. Als sie mit zwei dampfenden Steingutbechern zum Tisch zurückkehrte, wirkte sie so zerbrechlich und verletzbar, dass es Anna die Kehle zuschnürte.
„Ach, Kind, es gibt so vieles, was ich dir hätte erklären sollen“, sagte sie leise und setzte sich ihrer Tochter gegenüber. „Schon seit meiner Teenagerzeit habe ich unter schweren Depressionen gelitten. Inzwischen bin ich in ärztlicher Behandlung und komme gut damit zurecht, aber viele Jahre lang habe ich versucht, allein damit fertig zu werden. Als du ungefähr zwölf warst, machte ich eine besonders schlimme Phase durch. Ich fühlte mich völlig wertlos und war überzeugt davon, dass dein Vater mich nicht liebte.“
Judith machte eine kurze Pause und trank einen Schluck Tee, während Anna wie gebannt an ihren Lippen hing.
„Aus Angst, ihn zu verlieren, habe ich mich verzweifelt an ihn geklammert und ihm mit meiner krankhaften Eifersucht das Leben zur Hölle gemacht“, fuhr sie schließlich fort. „Anfangs hat Lars noch versucht, Verständnis für mich aufzubringen, aber irgendwann hat er es dann nicht mehr ausgehalten und seine Abende immer häufiger außer Haus verbracht. Am Ende ist natürlich genau das eingetreten, was ich am meisten befürchtet hatte, aber damals war mir noch nicht bewusst, dass ich es zum größten Teil selbst heraufbeschworen hatte.“
Eine Weile blickte Judith gedankenverloren vor sich hin, dann griff sie nach Annas Hand und drückte sie kurz. „Dein Vater ist nicht so schlecht, wie du vielleicht denkst, Liebes. Er hat sein Bestes getan, aber er war mit der Situation völlig überfordert. Heute weiß ich, wie viel ich zum Scheitern unserer Ehe beigetragen habe, doch es hat lange gedauert, bis ich es akzeptieren konnte. Und ohne Charles’ großartige Unterstützung wäre es mir vielleicht nie gelungen.“ Ein weiches Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Du wirst ihn mögen, Anna. Er macht einige Besorgungen in der Stadt, aber ich denke, dass er bald wieder zurück ist.“
Anna erwiderte stumm ihr Lächeln, unfähig ein Wort herauszubringen. Auf einmal sah sie alles in einem ganz neuen Licht. Ihr Vater war also gar nicht so untreu gewesen, wie sie geglaubt hatte und was ihre Mutter betraf … Judith musste damals ein gefundenes Fressen für jemanden wie Philip Stone gewesen sein: eine psychisch labile, alleinerziehende Mutter mit einer hübschen jungen Tochter.
Plötzlich fiel der jahrelange Groll von Anna ab, den sie insgeheim gegen ihre Mutter gehegt hatte. Krank und verzweifelt, wie Judith damals gewesen war, hatte sie mit Sicherheit geglaubt, das Beste für ihr Kind zu tun, indem sie ihm eine neue Vaterfigur gab. Nur hatte sie nicht geahnt, wie sehr ihre Tochter unter dem netten „Onkel Phil“ zu leiden hatte.
Und sie würde es auch nie erfahren.
Das alles war jetzt Vergangenheit. Phil war tot und konnte niemandem mehr Schaden zufügen. Nur Damon kannte ihr Geheimnis, und dank seiner Sensibilität und Geduld hatte Anna endlich die Ängste und Komplexe überwunden, die ihr Stiefvater ihr eingeimpft hatte.
Ach, Damon …
„Ich muss sofort nach Griechenland zurück“, murmelte Anna wie benommen.
Sie wusste nicht, ob es tatsächlich Liebe war, was ihre Mutter in Damons Augen gesehen hatte, aber plötzlich kümmerte es sie nicht mehr. Vielleicht würde er für immer Eleni lieben, aber er konnte nicht mit einer Erinnerung schlafen.
Die letzten Wochen ohne ihn waren so unerträglich gewesen, dass sie nun bereit war, ihren Stolz aufzugeben und ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte.
Die Geschäftsräume von Kouvaris Construction befanden sich mitten im Zentrum von Athen. Als Anna aus der Hitze des Spätsommernachmittags in die kühle Rezeption trat, schlug ihr das
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