Herz in Gefahr
worden, das Haus zu verlassen. Mrs Aveton hat von deiner Rückkehr erfahren.”
“Solltest du dann hier sein?”, fragte er kühl. “Meine alte Feindin wird kaum ihre Abneigung gegen mich verloren haben.”
“Oh, Dan, können wir sie nicht dieses Mal einfach vergessen?”, flehte Judith ihn an. “Ich habe mein Manuskript mitgebracht.”
“Verzeih mir!”, sagte er leise. “Komm in die Bibliothek. Dort können wir es uns gemütlich machen.”
Er gab ihr den bequemsten Sessel, und sie setzte sich, öffnete ihr Retikül und reichte ihm ein Bündel eng beschriebener Seiten.
Dan ließ sich in den Sessel ihr gegenüber sinken und fing an zu lesen. Er war bald in das Buch vertieft, und seinen rotgoldenen Schopf über ihre Zeilen gebeugt zu sehen, erfüllte ihr Herz mit tiefer Zuneigung. Sie sehnte sich danach, wieder jene Liebesworte zu hören, die ihr vor Jahren so viel bedeutet hatten.
Sie bereute ihren Entschluss, ihn fortzuschicken, aus tiefstem Herzen. Sie und Dan hätten dem Sturm, der um sie herum ausgebrochen wäre, die Stirn bieten können. Er hätte es auf jeden Fall getan, aber sie war die Schwächere gewesen und hatte geglaubt, ihn auf diese Weise vor Mrs Aveton zu beschützen.
Judith sah ihn wieder an. Sie hätte ihn überall wiedererkannt, aber es lag jetzt eine gewisse Reife in seinem Wesen, die ihr neu war. Weder mit einem Wort noch einer Geste hatte er zu erkennen gegeben, dass sie für ihn etwas anderes war als eine alte Freundin. Seine Förmlichkeit erschreckte sie.
Aber was hatte sie erwartet? Sie war mit einem anderen Mann verlobt. Wenn Dan sie noch liebte, hätte sein Ehrgefühl ihm verboten, es ihr zu sagen. Aber er liebte sie nicht, und dafür musste sie dankbar sein. Sie hörte ihn leise lachen und sah ihn fragend an.
“Judith, das ist wirklich gut! Ich kann es nicht aus der Hand legen. Du hast deinen Sinn für Humor nicht verloren, wie ich sehe. Wie genau du die menschlichen Schwächen aufs Korn nimmst!”
“Ich bin nicht sehr höflich, fürchte ich …”
“Du bist ehrlich. Deine Menschenkenntnis macht mir Angst. Ich werde von jetzt an darauf achten müssen, wie ich mich benehme.”
Judith lachte.
“Du musst es veröffentlichen lassen, Judith. Es wäre ein großer Erfolg.”
“Nein, das kann ich nicht tun. Denk an den Skandal!”
“Was für ein Skandal? Auch andere Frauen sind schon erfolgreiche Autoren geworden. Aphra Behn hat vor mehr als einem Jahrhundert ihre Theaterstücke und Romane veröffentlicht, und was ist mit Fanny Burney?”
“Madame d’Arbley? Das ist etwas anderes. Ihr Vater war auch Schriftsteller und hat sie ermutigt. Und hat sie zunächst nicht unter einem Pseudonym geschrieben?”
“Das kannst du ja auch tun.”
Judith schüttelte den Kopf. “Wenn die Wahrheit ans Licht käme? Vergiss nicht, ich bin im Begriff einen Geistlichen zu heiraten. Man würde es für sehr unpassend halten.”
“Ich habe es nicht vergessen”, sagte er heftig. “Das ist nur noch einer der vielen Gründe, weswegen du ihn nicht heiraten solltest.”
“Oh, Dan, du hast versprochen, dass wir nicht darüber reden werden. Gib mir das Manuskript. Ich habe es zu meinem eigenen Vergnügen geschrieben, aber es freut mich, dass du es unterhaltsam gefunden hast.”
“Es ist mehr als das, meine Liebe. Kann ich es nicht noch einen oder zwei Tage behalten? Ich möchte wissen, wie es weitergeht.”
“Nun gut, aber es muss unser Geheimnis bleiben. Und jetzt erzähl mir, wie deine eigene Arbeit vorangeht.”
Er seufzte. “Ich frage mich, ob meine Pläne jemals Interesse finden werden. Zweifellos denken die Lords von der Admiralität gar nicht daran, überhaupt neue Schiffe bauen zu lassen. Immerhin haben wir Frieden …”
“Aber nicht mehr lange, hast du gesagt. Dan, es muss auch andere Männer geben, die so denken wie du. Perry und Sebastian sind der gleichen Meinung.” Judith zögerte einen Moment. “Wirst du mich für aufdringlich halten, wenn ich dir einen Vorschlag mache?”
“Ich will alles versuchen.”
“Warum schreibst du dann nicht direkt an Admiral Nelson? Perry ist ihm einmal begegnet.”
“Ich soll eine Verbindung nutzen?”
“Aber nein. Der Admiral wird sich kaum an einen Lieutenant erinnern, den er nur einmal gesehen hat. Und du brauchst Perry ja auch überhaupt nicht zu erwähnen. Schick ihm einfach deine Zeichnungen und überlasse sie seinem Urteil.”
Die Zuneigung in Dans Augen ließ ihr Herz schneller schlagen. “Kluge Judith!”, sagte er
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