Herz in Gefahr
Wut. Wenn sie jemals Zweifel gehabt haben mochte, wie nötig es war, Mrs Avetons Krallen zu entkommen, so verschwanden sie jetzt. Sie hatte darüber nachgegrübelt, ob sie den Priester heiraten sollte, da sie ihn nicht liebte. Aber in den Kreisen, in denen sie sich bewegte, spielte Liebe selten eine Rolle, wenn es darum ging, eine Ehe zu schließen. Und wenn sie nicht im Haushalt ihrer Stiefmutter dahinwelken wollte, sah sie keinen anderen Ausweg als die Ehe. Auf keinen Fall würde sie Charles Truscott betrügen. Sie hatte geschworen, ihm eine gute Frau zu sein. Sie konnte ihm bei seiner Arbeit in der Gemeinde helfen, ihm den Haushalt führen und seine Kinder zur Welt bringen.
Sie verbarg das Gesicht in den Händen und wusste auf einmal, dass das nie genügen würde. Warum hatte Dan ausgerechnet jetzt zurückkommen müssen? Sie durfte nicht an ihn denken. Entschlossen setzte sie sich an ihren kleinen Sekretär, öffnete ein verborgenes Fach und holte einen Stapel Papiere hervor. Mit einem unterdrückten Seufzer begann sie zu schreiben.
Als man Reverend Truscott ankündigte, wurde Judith nicht gleich in Kenntnis gesetzt. Mrs Aveton empfing ihn in ihrem Salon.
“Was ist geschehen, Ma’am?”, fragte er leise, als er Mrs Avetons Erregung bemerkte.
“Sie tun gut daran, zu fragen, Sir. Ihre zukünftige Braut benimmt sich sehr unpassend, fürchte ich.”
“Inwiefern, Madam?”
Schnell informierte sie ihn über die Fakten. “Judith war in den Mann vernarrt und er in sie. Jetzt ist er wieder da, und ich fürchte, sie könnte ihre Meinung ändern.”
Er brachte nur mit größter Anstrengung ein Lächeln zustande. In der Nacht zuvor hatte er in seinem Haus in Seven Dials sehr viel getrunken, und sein Kopf pochte schmerzhaft. Ein Tag der Ausschweifung hatte seine Laune nicht verbessert, aber ein Mann musste ein Ventil für seine Leidenschaft finden. Die Anstrengung, ein scheinbar makelloses Leben zu führen, konnte nur eine gewisse Zeit durchgehalten werden, und die Zeitspannen zwischen seinen Besuchen wurden immer kürzer. Und diesmal hatte er noch einen weiteren Zweck erfüllen wollen. Seine Mission war erfolgreich gewesen, obwohl ihre Brüder nicht so leicht zu überreden gewesen waren, wie er gehofft hatte.
“Mord?” hatte der jüngere von beiden gestammelt. “Reicht’s denn nicht, sie bloß zusammenzuschlagen?”
“Nein! Damit bekomme ich sie nicht ein für alle Mal zum Schweigen!” Er hatte auf einen Haufen Goldmünzen auf dem Tisch gewiesen.
“Es könnte uns aber auch zum Schweigen bringen. Ich hab keine Lust, in Newgate im Wind zu schaukeln.” Auch der Ältere hatte den Kopf geschüttelt.
“Ihr denkt nicht logisch”, hatte Charles gesagt. “Ich spreche von einem Unfall.”
“Für drei Leute auf einmal?”
“Drei betrunkene Säufer. Sie können von einem Wagen überfahren werden oder, noch besser, in den Fluss fallen.”
“Was woll’n die von dir, Josh?”
“Mr Ferris, für dich, mein Junge. Und mein Streit mit ihnen geht dich nichts an. Habe ich euch nicht immer gut bezahlt?”
“Klar, Mr Ferris, wenn das dein Name ist, was ich mal so frei bin zu bezweifeln. Aber das war für kleinere Jobs. Das hier ist nicht genug für einen Mord.”
“Natürlich nicht! Ihr bekommt noch mehr.”
“Wie viel mehr?”
Der Priester nannte eine Summe, die die Augen der beiden Brüder gierig aufleuchten ließ. Dann lehnte er sich zurück, lächelte leise und begann, ihnen die Einzelheiten seines Plans zu erklären. Er war sicher. Sie kannten ihn nur unter seinem angenommenen Namen und konnten ihn nicht finden.
Jetzt, da Truscott Mrs Aveton gegenübersaß, blieb sein Blick ausdruckslos. Sie hatten sich von Anfang an gegenseitig durchschaut, aber selbst sie ahnte nicht, zu welchen Mitteln er bereit war zu greifen, um sein Ziel zu erreichen. Er würde Judith und ihr Vermögen besitzen, komme was wolle.
“Ich hoffe, Sie haben unsere kleine Judith nicht aufgeregt, Ma’am”, sagte er sanft. “Nichts würde unseren Plänen mehr schaden, als ihr Widerstand entgegenzubringen.”
“Sie wird tun, was ihr gesagt wird”, kam die scharfe Antwort. “Und wie Sie sich denken können, ist sie jetzt in ihren Räumen und schmollt. Ich habe ihr verboten auszugehen.”
“Unglaubliche Dummheit!” Seine Stimme klang barscher, als er beabsichtigt hatte. “Sie wissen nicht, wie Sie sie behandeln müssen.”
“Sie glauben, Sie können besser mit ihr zurechtkommen?” Sie schnaubte ungläubig.
“Erlauben Sie
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