Herz in Gefahr
das Meer hatte.”
“Hat er … hat er ihnen die Köpfe abgeschlagen?”
“Oh nein! Er war ein freundlicher Mann, und er regierte England gerecht. Er wurde bekannt als Canute der Große.”
“Ich werde Papa von ihm erzählen. Kennst du noch mehr Geschichten?”
“Ich kenne eine, die dich zum Lachen bringen wird.” Judith sah sich um, bis sie die Figur fand, die sie suchte. “Siehst du den Mann, der beim Feuer sitzt? Was glaubst du, was er tut?”
“Kochen?”
“Nicht genau. Er war ein König, aber einmal bat man ihn, auf einige Brote auf dem Feuer aufzupassen.”
“Könige tun so was nicht!”
“Dieser war in Verkleidung. König Alfred versteckte sich vor seinen Feinden. Er überlegte, wie er sie überlisten könnte, und vergaß die Brote. Als sie verbrannten, war die alte Frau in der Hütte fuchsteufelswild.”
“Was hat sie getan?” Crispin kicherte.
“Ich glaube, sie hat ihn ordentlich verprügelt.”
“Dann hat er ihr bestimmt den Kopf abschlagen lassen, Judith.”
“Du meine Güte, mein Lieber! Ich glaube, du bist ebenso blutdürstig wie deine Brüder. Wenn du König wärest, würdest du gern über ein Volk kopfloser Untertanen regieren?”
Bei dieser Vorstellung brach Crispin in fröhliches Gelächter aus, und er lachte immer noch, als seine Brüder zurückkamen.
Sie waren seltsam still, und Judith sah Dan fragend an. Er zwinkerte ihr amüsiert zu. “Ich glaube, wir haben für heute genug Gräuel gesehen”, sagte er. “Es wird Zeit für etwas Süßes. Was sagen die Herren zu einem Eis?”
Dieser Vorschlag wurde mit Freudengeheul aufgenommen, und gemeinsam scheuchten Dan und Judith ihre Schützlinge zum Ausgang. Als sie wieder auf der Straße waren, warf ihnen ein älteres Paar wohlwollende Blicke zu.
“Was für ein hübsches Paar”, sagte die Frau hörbar laut. “Und noch so jung, um die Eltern dieser drei kräftigen Jungen zu sein.”
Judith errötete, aber Dan lächelte sie an. “Nimm es nicht so schwer”, flüsterte er. “Sie hat ja gesagt, dass du viel zu jung bist, um eine gesetzte Mama zu sein.”
“Ja, ich weiß. Aber ich bin auch nicht mehr in meiner ersten Jugend …”
“Und ebenso wenig leidest du an Altersschwäche. Prudence ist nicht sehr viel älter als du. Und du würdest doch wohl nicht sagen, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat, oder?”
“Natürlich nicht!” Sie war dankbar, dass er ihre offensichtliche Verlegenheit auf die Tatsache zurückführte, dass die alte Dame sie für älter gehalten hatte, als sie war. Aber der wahre Grund war, dass man sie und Dan für ein Ehepaar gehalten hatte.
Die Kinder, die schließlich nach einer köstlich verbrachten Stunde im Eissalon in der Mount Street ankamen, waren sehr müde, aber glücklich. Dan runzelte die Stirn, als er die Kutsche vor dem Haus sah. “Brandon? Was, in aller Welt, bringt ihn um diese Stunde zur Mount Street?” Er stieg in aller Eile aus der Kutsche.
Judith wusste, dass er sich um Prudence Sorgen machte. Ging es ihr schlechter? Wenn die Familie zusammengerufen worden war, musste etwas geschehen sein. Mit sinkendem Herzen folgte Judith Dan ins Haus.
Doch ein Blick auf Sebastians eher gereiztes als besorgtes Gesicht genügte, um sie zu beruhigen. Bei dem Besuch handelte es sich nicht um den Earl of Brandon, sondern Amelia, dessen Gattin.
Sebastian erhob sich mit nur mühsam unterdrückter Erleichterung. “Amelia, ich glaube, du kennst Miss Judith Aveton? Und natürlich Dan? Kinder?”
Auf ein Nicken ihres Vaters hin kamen die Jungen näher und verbeugten sich vor ihrer Tante.
“Sie wachsen schnell, wie ich sehe”, bemerkte sie. “Sehr hübsche Jungen.”
“Amelia ist gekommen, um sich nach Prudence zu erkundigen”, sagte Sebastian. “Ich konnte ihr sagen, dass der Arzt recht zufrieden ist mit ihrem Fortschritt.”
“Ich werde zu ihr hinaufgehen.” Die Countess griff nach Retikül und Schultertuch. “Eine Frau in ihrem Zustand sollte sich keinen Überspanntheiten hingeben und im Bett faulenzen. Ich werde ihr den Rat geben, sich zusammenzureißen.”
“Nein, Ma’am!” Sebastians Ton war eine Spur hart. “Prudence ist für den Moment jeglicher Besuch verboten. Ich werde ihr deine Grüße ausrichten.”
“Wie freundlich von dir.” Die Countess sah ihn streng an. “Dann muss ich mich fragen, was diese Dame hier tut. Wie ich von ihrer Stiefmutter höre, wurde Miss Aveton zu dem Zweck eingeladen, Lady Wentworth Gesellschaft zu leisten.”
“Das ist korrekt.”
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