Herz in Gefahr
Als er zu seinen Gästen zurückkam, konnte Sebastian bei Miss Grantham keine Anzeichen von Reue erkennen.
“Na, haben Sie ihr nachgewunken?”, fragte sie fröhlich. “Dem Himmel sei Dank dafür! Ihr Gesicht bringt ja die Milch zum Gerinnen.” Sie sah ihn verschmitzt an. “Ich hoffe, Sie erwarten nicht von mir, dass ich mich entschuldige.”
“Ma’am, nein, dazu kenne ich Sie zu gut.” Er setzte sich in einen Sessel neben sie und lächelte sie voller Zuneigung an. “Aber ich sollte Sie tadeln, Sie unglaubliches Geschöpf. Sie werden sich nie ändern. Und ich glaube, es macht Ihnen Vergnügen, Unheil zu stiften.”
Miss Grantham lachte unbekümmert. “Das stimmt in der Tat! Es ist eine der angenehmen Seiten des hohen Alters.” Ihr freches Grinsen schien eher das einer Fünfjährigen zu sein.
“Eines Tages werden Sie noch Ihrem Meister begegnen”, warnte er sie.
“Mein lieber Junge, wer immer er ist, er sollte sich besser beeilen. Ich bin nicht unsterblich.”
“Heißt das, dass Sie bald sterben werden?”
Es war Henry, der die Frage gestellt hatte, und sein älterer Bruder stieß ihn mit dem Ellbogen in die Rippen. “Das fragt man nicht”, flüsterte er. “Es ist unhöflich.”
“Unsinn! Es ist eine vollkommen vernünftige Frage.” Das alte Gesicht, das nichts so sehr ähnelte wie einer Walnuss, wurde von einem gutmütigen Lächeln erhellt. “Ich meinte nur, dass ich nicht hoffen kann, für immer zu leben. Und wie schade das ist! Das Leben ist so interessant, findet ihr nicht?”
“Doch, ich ja.” Henry überlegte kurz. “Die Wachsfiguren waren interessant, aber mir gefiel das Blut in Marats Bad nicht.”
“Das war kein Blut, es war Farbe”, belehrte ihn sein Bruder verächtlich. “Ich weiß es, weil ich es probiert habe.”
Seine Zuhörer lachten amüsiert auf, und Miss Grantham ging sogar so weit, Sebastian zu seinem klugen Sohn zu gratulieren. “Du hast einen Wissenschaftler großgezogen, wie ich sehe. Gut gemacht, Thomas! Nimm nie das Offensichtliche als wahr an, ohne es zu hinterfragen.”
Hierauf schien sich eine wissenschaftliche Diskussion anzubahnen, doch Sebastian griff ein. “Ich denke, ich muss meine Wissenschaftler zum Abendessen fortschicken, Ma’am.” Er sah seinen Söhnen lächelnd nach, und mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, folgte Judith ihnen aus dem Zimmer.
Dan bat ebenfalls, sich entschuldigen zu dürfen, und Sebastian blieb allein mit seinem Gast. Er sah sie an und hob fragend die Augenbrauen.
“Ja, ja, Sie wundern sich bestimmt, was ich hier will, Sir! Perry und Elizabeth hatten eine andere Verpflichtung, und so hatte ich etwas Zeit. Ich bin gekommen, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, das Sie alle so gut für sich behalten.”
11. KAPITEL
Sebastian starrte sie erstaunt an. “Sie wissen davon?”
“Ich weiß nichts, aber ich ahne etwas. Für mich ist das Gesicht Ihres Bruders ein offenes Buch. Perry hat sich noch nie sehr gut verstellen können, wie Sie wissen.”
Sebastian lächelte und seufzte.
“Mein lieber Junge, was ist geschehen? Ist es Prudence?”
“Prudence geht es gut, Ma’am. Im Augenblick ruht sie sich aus, aber der Arzt ist zufrieden.”
“Kluger Mann! Wenigstens glaubt er nicht an den modischen Firlefanz, schwangere Frauen hungern zu lassen und ihnen so jede Kraft zu rauben.”
“Ja, Ma’am. Ich denke, er ist einer der besten seines Fachs in London, und ich danke Ihnen, dass Sie ihn mir empfohlen haben.” Er lachte. “Was sagt er zu Ihrem Plan, in die Türkei zu reisen?”
“Er weiß nichts davon”, erwiderte Miss Grantham triumphierend. “Ich habe seit Jahren keinen Vertreter der medizinischen Profession zurate gezogen und habe das auch jetzt nicht vor. Aber wechseln Sie nicht das Thema, Sir. Sie haben mir nicht geantwortet.”
“Nun”, gab er nach, “es geht um Judith, um die Prudence und Elizabeth sich große Sorgen machen.”
“Das Mädchen soll bald einen Geistlichen heiraten, wie ich höre?”
“Ja, Ma’am.” Sebastian zögerte.
“Nun, auf die Ehe steht nicht der Galgen, obwohl mancher mir da widersprechen würde. Ich selbst würde mir zwar keinen Priester aussuchen. Sie sind alle frömmlerische Heuchler, immer froh, wenn sie sich auf Kosten eines anderen durchfüttern können. Ist das das Problem? Mögen sie den Burschen nicht? Ich habe ihn noch nie gesehen oder seinen Schwulst von sich geben gehört.”
Sebastian verbarg ein Lächeln. “Ja, das trifft es ungefähr.”
Sie sah ihn
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