Herz ueber Bord
und Vera eine Mail zu schreiben, stand fest. Als gute Freundin meiner Mutter kannte ich sie seit Jahren, und nachdem Mum zugesagt hatte, für sie einzuspringen, hatte sie mir noch ein paar Mails mit Tipps und Tricks zur Karibik-Kreuzfahrt geschickt.
Ich steuerte meinen Schreibtisch an, fuhr den PC hoch und tippte Veras Adresse ein. Noch immer rollten drauÃen laut die Wellen gegen das Schiff und lieÃen einen leichten Anflug von Ãbelkeit in mir aufsteigen, der von Minute zu Minute stärker wurde. Mum hatte mich darauf vorbereitet, dass es im Verlauf unserer Reise auch mal âºungemütlichâ¹ werden könnte. Doch ihre Erläuterung hatte harmloser geklungen, als es sich jetzt anfühlte. Ich zwang mich, auf keinen Fall an etwas zu essen zu denken, denn sonst würde ich mich gleich über die Vakuumtoilette gebeugt vorfinden. Lass dich bloà nicht von ein paar harmlosen Wellen und dem bisschen Sturm durcheinanderbringen, Katja!
Nach kurzem Ãberlegen, mit welchen Worten ich die Mail an Vera beginnen sollte, entschloss ich mich, gleich mit dem Wichtigsten zu starten. Ich setzte Vera davon in Kenntnis, dass es zwischen Mum und Kapitän Troller gehörig krachte. Ich übertrieb ordentlich und schrieb, dass die beiden meines Erachtens eine gemeinsame Vergangenheit, vermutlich sogar eine lange zurückliegende Affäre hätten.
Der wahrscheinlichste Grund, wenn es zwischen Mann und Frau derart emotional zugeht, formulierte ich es. Ich bat Vera um Hilfe und betonte noch mal, dass es dringend sei, damit Mum und ich hier keine Probleme bekämen.
»Gut gemacht, Katja«, lobte ich mich. »Wer etwas in Erfahrung bringen will, muss einen Köder auslegen.« Ich hatte die Affäre zwischen Mum und Troller einfach in den Raum gestellt und gepokert. Wenn Vera sich nicht begriffsstutzig stellte, würde ich bald wissen, was hinter der Sache steckte. Noch einen herzlichen Gruà zum Abschied, dann schickte ich die Mail weg.
Ich stand auf und ging ins Bad, um zu duschen. Doch das Schaukeln war in der Duschkabine weit schlimmer als im Zimmer, deshalb lieà ich es schlieÃlich bleiben, putzte mir nur die Zähne, wusch mir das Gesicht und war um kurz vor halb fünf bereits fertig angezogen. Ich setzte mich noch mal vor den PC und klickte auf Senden/Empfangen, um zu checken, ob ich vielleicht schon eine Rückmeldung im Posteingang hatte. In Deutschland war es viele Stunden später, deswegen lag es im Bereich des Möglichen, dass Vera meine Mail bereits gelesen und darauf geantwortet hatte. Das Schiff schlingerte noch immer wie ein Spielzeug hin und her, und wenn das so weiterging, würde ich später nichts frühstücken können, ohne dass mir hinterher alles wieder hochkäme.
»Katja, das ist jetzt deine geringste Sorge«, redete ich mir gut zu. Jetzt kommt es darauf an, was Vera dir zurückschreibt. Tatsächlich, ich hatte drei Mails im Posteingang. Zwei von Inka und eine von Vera. Ich klickte Veras Mail als erste an und begann, sie aufgeregt zu lesen.
Sie schrieb von einer bittersüÃen Liebesgeschichte, die sich zwischen Mum und Stefan Troller abgespielt hatte. Ein paar Monate, bevor Mum aus dem Dienst ausgeschieden war. Na also. Vera hatte den Köder geschluckt und schenkte mir reinen Wein ein. Laut ihren Erzählungen hatte Mum Troller sehr geliebt, doch nach mehreren glücklichen Monaten hatte er sie von einem Tag auf den anderen sitzen lassen.
Bitte nimm mir meine Offenheit nicht übel, Katja, aber damals vermutete ich, dass deine Mutter schwanger war! Sie hat sich mir nicht anvertraut, aber ich bin eine Frau, und oft spürt man solche Dinge, bevor sie jemand ausspricht ⦠Ich stutzte. Mum war vor mir schon einmal schwanger gewesen? Davon hatte sie mir gegenüber nie etwas erwähnt. Hatte sie etwa eine Fehlgeburt erlitten? Ich schloss die Augen und lieà die Information auf mich wirken. Nach einer Weile öffnete ich sie wieder und las gespannt weiter.
Bald danach hat deine Mutter deinen Vater wieder getroffen. Die beiden kannten sich von früher, waren allerdings nur platonische Freunde gewesen. Es war Liebe auf den zweiten Blick und der Beginn einer glücklichen Beziehung, die in einer Ehe mündete, wie du weiÃt. Tja, und dann bist bald du zur Welt gekommen, und wieâs aussieht, sind alle glücklich geworden. Nur die Sache mit Troller, die hat deine Mutter nie richtig verwunden. Vera schrieb weiter,
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