Herz und Fuß
hatten, den Kontakt zu mir wieder aufleben zu lassen. Anfänglich hatte ich die unterschiedlichen Anrufe arglos angenommen, aber seit eine ehemalige Nachbarin anrief, weil sie ihrem Kegelclub ein Gespräch mit der »Frau mit dem grünen Fuß« in Aussicht gestellt hatte, ließ ich alle Telefone klingeln.
Jetzt klingelte das Festnetz und ich ignorierte auch das. Es war mein freier Tag, es regnete und ich vertrieb gelangweilt den Staub von Möbelstücken und Holzböden. Der Staub und ich waren dabei ein perfekt eingespieltes Team, was mich nicht wunderte, denn er bestand nun einmal zu einem beträchtlichen Anteil aus meinen abgelegten Hautschuppen und desertierten Haaren. Ich wischte, der Staub wirbelte theatralisch auf und sank dann einfach lautlos hinter meinen Bemühungen wieder auf seinen Platz zurück. Eigentlich tat ich beim Putzen nie mehr, als diesem feinkörnigem Müsli der Vergänglichkeit mit Schuppen statt Haferflocken einen kurzen kostenlosen Flug durch den Raum zu verschaffen, aber das machte uns beiden Spaß.
Mit dem massiven Porzellanschwein, dass SIE mir von einer IHRER vielen Dienstreisen mitgebracht hatte, nahm ich mir immer etwas mehr Zeit, weil mir, wenn ich es in der Hand hielt, wieder einfiel, wie stark die Versuchung gewesen war, es IHR bei unserem letzten Treffen hinterherzuwerfen. Ich hatte es nicht getan, ich mochte das Schwein. Damals hatte es noch in IHRER Zweitwohnung gestanden, die immer auf eine fast beunruhigende Weise makellos gewesen war. So als müsste SIE nie putzen, weil der Staub es nicht wagte, sich auf IHRE Möbel zu legen. Vielleicht hatte SIE auch einfach keine Hautschuppen und Haare verloren. Und gewöhnlicher Hausstaub hatte sich natürlich nicht in IHRE Nähe gewagt. Möglicherweise hatte es auch an der Höhe gelegen, denn IHRE Wohnung hatte sich im obersten Stock eines riesigen Komplexes voller schicker Eigentumswohnungen befunden. Außer Staub hatte es im ganzen Gebäude augenscheinlich auch keine menschlichen Bewohner gegeben. Jedenfalls hatte ich nie jemanden in der gepflegten Eingangshalle oder an den glänzenden Türen der Aufzüge getroffen, vor denen ich ungeduldig auf die Knöpfe gedrückt hatte, wenn es IHR eingefallen war, nach mir zu rufen.
SIE hatte mich nie in meiner Wohnung getroffen, denn die Anwesenheit meiner Eltern hatte SIE nervös gemacht. Nicht, dass die beiden sich übermäßig für SIE oder mein Liebesleben interessiert hätten, aber sie konnten hören und sehen und das war entscheidend. Jeder, der SIE mit mir sah und der im Ernstfall bezeugen konnte, dass sie außer Höflichkeiten auch Körperflüssigkeiten mit mir austauschte, machte SIE nervös. In der ersten Zeit unseres Kennenlernens waren wir an langen Abenden durch unzählige dämmerige Naherholungsgebiete spaziert, SIE mit schnellem Schritt immer ein wenig vor mir, ich mit sehnsüchtigem Blick und zunehmend durchgelaufenen Sohlen knapp dahinter. Von Zeit zu Zeit war SIE an sehr einsamen Orten stehen geblieben und hatte mich mit einer Leidenschaft, die mir den Atem für die vor mir liegende Strecke nahm, geküsst. Dann war SIE weiter gelaufen, als wäre SIE auf der Flucht vor etwas gewesen, dem SIE nicht entkommen konnte. Ich hatte wenig über die Realität einer Frauenbeziehung gewusst und hatte es von daher für zumindest denkbar gehalten, dass diese Gewaltmärsche Teil jeder jungen lesbischen Liebe waren. Baby war zum Studium in einer anderen Stadt und ließ mich nur äußerst spärlich an ihren ersten Eroberungen teilnehmen. Sicherlich auch deshalb, weil ich nur zögerlich hatte zugeben wollen, dass Frauen für mich durch einen einzigen Kuss von einer möglichen Alternative zum Lebensmittelpunkt geworden waren. SIE hatte mein Denken bestimmt, mein Fühlen und meine Zeit. Meist hatte ich allerdings gewartet. Auf einen Anruf, eine Nachricht, ein Treffen, eine von Küssen unterbrochene Wanderung. Unsere gemeinsamen Nächte endeten damals stets mit dem ersten Licht der Sonne, das ich zu hassen lernte, weil es zeigte, dass meine Kutsche nichts als Kürbis und meine stolzen Rosse nur verzauberte Mäuse waren. Ich war mir sicher gewesen, dass sich das mit der Zeit ändern würde. Weil SIE mich liebte, mehr liebte als alles andere, und dieses Geheimnis, das SIE mir in intimen Stunden ins Ohr flüsterte, stöhnte und schrie, war mein Schild gegen jeden äußeren Feind. In meinem Eifer hatte ich nur vollkommen vergessen, mich vor IHR zu schützen, und als ich das endlich bemerkt
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