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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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aus Versehen. Nachdem ich die Opfer von Amors Pfeilen nun einen ganzen Abend ungestört beobachtet hatte, war ich mir nämlich wieder sicher, dass die Grenze zwischen Wahn und Liebe durchaus fließend war. All dieses Küssen, Flüstern und Schwören, diese tiefen Blicke und feuchten Münder sahen, wenn man nicht gerade beteiligt war, eher befremdlich aus. Das und ihr Anblick machten mich traurig und neidisch. Ich hatte es seit IHREM Abgang auch nicht mehr nur ansatzweise in jenen Oxytocin gesättigten Hormonzustand geschafft, der aus zwei Menschen eine schwebende Wahngemeinschaft machte. Immerhin aber froren die frisch Verliebten keine Senioren ein.
     
    Als ich aus dem Aufzug aufs Gasometerdach trat, kam mir die ewige Annabelle entgegen und grüßte mich mürrisch, bevor sie auf der Treppe nach unten stieg. Ihre bunten Schals und weiten Kleider umflatterten sie bei jedem Schritt wie zornige Gebetsfahnen. Wenn sie vorhatte, alle 616 Gasometerstufen in ihren roten Samtschuhen mit den aufgestickten gelben Sonnen hinabzulaufen, war ihre Wut auf mich eindeutig noch nicht verflogen. Unfreundlich war die ewige Annabelle zu mir nämlich erst, seit ich den Fuß gefunden hatte, denn sie war davon überzeugt, dass sie und nur sie, an diesem wichtigen Moment im Leben des Gasometers hätte teilhaben sollen. Um das zu verstehen, musste man die ewige Annabelle kennen. Sie war so etwas wie die moderne Version eines Schlossgeistes, denn man bekam sie einfach zum Gebäude dazu. Wenn sie nicht geschäftig durch die Ausstellungen oder über das Dach huschte, lebte sie bei ihrer streng religiösen Mutter und war seit ungezählten Jahren damit beschäftigt, eine Dissertation über die Geschichte des Gasometers fertigzustellen. Sie kannte jede Niete in der tonnenschweren Scheibe dieses Scheibengasbehälters persönlich und hatte kein Verständnis für Menschen, die fanden, dass das polygonale Gebäude einfach wie eine überdimensionale Coladose aussah. Die ewige Annabelle besaß eine Dauerkarte für jede neue Ausstellung und keine Woche verging ohne einen Besuch von ihr. Auf Eröffnungen und Sonderveranstaltungen erschien sie ohne Einladung in aufwendiger Abendkleidung und es hinderte sie schon lange niemand mehr daran. Manchmal sah ich sie im Gespräch mit Besuchern, die sich wahrscheinlich arglos zu laut eine Frage zum Gebäude gestellt hatten. Wenn Annabelle von der Erbauung des Gasometers im Jahre 1929 oder vom großen Brand nach dem Zweiten Weltkrieg erzählte, konnte man den Verdacht nicht loswerden, dass sie dabei gewesen war. Vielleicht war sie das ja auch wirklich, es traute sich auf jeden Fall keiner von uns, sie nach ihrem Alter zu fragen.
     
    Ich hatte Baby zwei Freikarten besorgt und sie zeigte einer meiner Meinung nach etwas zu jungen und zu dünnen Frau auf Plattform eins gerade Düsseldorf. Die drängte sich dankbar an die selbsternannte Fernsichtige. Baby zog sie an sich und ich sah auf meinem Weg diese Bewegung einen vertrauten Rhythmus bekommen. Ich räusperte mich, damit die beiden nicht vergaßen, was das Wort »öffentlich« in »öffentliche Nacht der Ruhrgebiets-Landmarken« bedeutete, und schloss eine Hand fest um die kleine Spraydose in meiner Tasche.
     
    »Wir schließen in zehn Minuten, wenn ihr also noch etwas von der Ausstellung sehen wollt, müsstet ihr jetzt nach unten fahren.« Ich schaute demonstrativ auf mein Handy.
     
    »Ich denke, das lassen wir aus. Was meinst du, Süße?« Süße klammerte sich von mitternächtlicher Kultur bedroht schutzsuchend an Baby und die beiden gingen verschmolzen wie zwei Schokoriegel, die zu lange in der Sonne gelegen hatten, neben mir her bis zum Aufzug.
     
    »Ich bleibe noch einen Moment oben. Viel Spaß noch euch beiden.« Ich versuchte, nicht anzüglich zu klingen, und merkte, dass es mir misslang. Baby streckte mir kurz bevor sich die Aufzugtür schloss die Zunge heraus. Mit den beiden fuhr noch eine Gruppe Hobbyfotografen nach unten, die riesige Stative und Objektive in den Aufzug schleppten. Morgen würde das Internet von einer mächtigen Welle »Mond-über-der-Metropole-Ruhr-Bilder« überschwemmt werden.
     
    Noch acht Minuten bis Mitternacht, so langsam konnten die Aufsichten ausschwärmen und die wenigen noch im und um das Gebäude verstreuten Besucher auf das Ende dieser langen Museumsnacht aufmerksam machen. Ich drückte gerade die Sprechtaste des Funkgerätes, als mein rechtes Bein zu vibrieren begann. Früher wäre das wahrscheinlich eine schwere Störung

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