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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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einem Schachbrett ohne Felder. Ein rundes Pizzastück mit einem großen Champignon erklärte ich zur Dame und setzte mit ihr den mit einem Zwiebelring gekrönten König matt. Dann klappte ich den Deckel über diese mehr als sterbliche Partie. Baby steckte sich nach dem letzten Stück Pizza und der Käsespindel einen Kaugummi in den Mund. Seit sie nicht mehr rauchte, waren stark nach Minze duftende Kaugummis ihre ständigen Begleiter. Ich mochte diesen Minzgeruch sonst sehr, heute roch er so streng, als könnte man in ihm tote Spinnen konservieren. Es war, als müssten sich nach der Begegnung mit dem Fuß meine Wahrnehmungen neu sortieren und auch meine Konversationsmanieren ließen zu wünschen übrig, denn ich setzte unser Gespräch ohne Ankündigung fort.
     
    »Das hat mit mir nichts zu tun. Jeder, der den Fuß gefunden hätte, hätte auch die Rose gefunden.«
     
    Baby kannte mich lange genug, um den Faden kommentarlos aufzunehmen. »Natürlich, aber niemand außer dir hat ihn gefunden. Und das lässt die Möglichkeit offen, dass jemand genau dir eine Botschaft überbringen wollte. Jemand, der genau weiß, wo du hingehst und wann du allein bist. Jemand mit einem Sinn für Dramatik. Eine unerwiderte Liebe vielleicht? Der schüchterne Junge, den du in der Grundschule zurückgewiesen hast? Der immer noch bei seiner Mutter wohnt und der so freundlich zu den Nachbarn ist?«
     
    Baby las wirklich zu viel. Sie las vor allem zu viele Kriminalromane, in denen wahnsinnige Serienmörder ihre Opfer alphabetisch geordnet meuchelten und schließlich von schlauen Forensikern anhand der Fortpflanzungsphasen von Maden oder Fruchtfliegen überführt wurden. Dass diese Wahnsinnigen am Ende zur Strecke gebracht wurden, war beruhigend. Allerdings waren die Serientäter meist schon in der hinteren Hälfte des Alphabets angekommen, wenn sie ihr gerechtes Schicksal endlich ereilte. Das war weniger beruhigend. Die scharfe Minze ließ meinen Augen tränen.
     
    »Bist du sicher, dass ich diese Bilder für mein geistiges Auge brauche?«
     
    »Tut mir leid. Ich glaube, ich möchte nur, dass du wachsam bist. Sehr wachsam!« Baby drückte mich an sich und hielt mich lange fest. Der Minzduft vermischte sich mit ihrem herben Parfüm wieder zum vertrauten, wohligen Duftnebel, der mich einhüllte.
     
    In dieser Nacht träumte ich von einem grünen Fuß, der mich durch ein Meer roter Rosen verfolgte. Ich rannte bis zur Erschöpfung, aber der Fuß kam schnell näher und die Rosen umfingen meine Füße wie ein Moor. Ich fühlte mich bei jedem Schritt tiefer und tiefer versinken. Alles wurde kalt und klamm. Das Rosenmoor reichte mir erst bis zum Bauch, dann bis zum Hals und drückte sich mir schließlich in den Mund. Ich rang nach Luft. Ein Geruch von Minze und Moder fuhr mir in die Nase. Der Fuß blieb vor mir stehen und ich griff nach ihm, weil er im roten Blumenmeer das Einzige war, das Halt bot. Er war eiskalt und so glitschig, dass ich immer wieder abrutschte. Weit entfernt auf einem Hügel, stand eine Floristin, deren grüne Schürze blutgetränkt war. »Liebe und Tod!« schrie sie immer wieder mit schriller Stimme, während ich in Rosenblüten ertrank. »Tod und Liebe!«
     

Die nächsten Tage
     
    vergingen mit neuen Befragungen durch die Polizei und einigen seltsamen Anfragen an meine Profile bei Lesarion und Facebook. Ich lehnte alle analogen und digitalen Kontaktangebote ab, nachdem mich eine junge Lesbe mit einer quer über das linke Auge tätowierten Spinne in einer Kneipe angesprochen hatte und mit hungrigem Blick wissen wollte, ob ich nicht die Frau mit dem grünen Fuß wäre. Vielleicht war sie einfach eine begeisterte Arachnologin und möglicherweise schränkte ich meine Zielgruppe grundlos ein, aber es war mir einfach lieber, wenn ich mich auf der Suche nach der großen Liebe in Zukunft nicht erst noch durch ein Heer bizarrer Nachtgestalten kämpfen musste.
     
    Am Gasometer versuchten wir nach der erzwungenen Pause den normalen Betrieb wieder aufzunehmen, aber das war gar nicht so einfach. Aus dem Juli, der eigentlich immer eine ruhige Zeit gewesen war, war innerhalb einer Woche ein Rekordmonat geworden. Die meisten Besucher, die sich plötzlich vor unserem Kassenhäuschen drängten, machten sich nicht einmal die Mühe, Interesse für das Industriedenkmal oder die Ausstellung zu heucheln, sondern fragten direkt an der Information nach dem Fundort des Fußes und ob es zu diesem Thema eine eigene Führung gab. Wir nannten diese

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