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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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zurück in die Realität dessen, was wir waren. Sie brauchte eine Story und ich war diejenige, die sie ihr liefern konnte.
     
    »Ich bin gut versorgt.« Das beantwortete zwar ihre Frage, klang aber, als hätte ich für solche Fälle keinen Menschen, sondern eine Vollkaskoversicherung.
     
    Wir standen auf und legten der Krähenwirtin das Geld für den Kaffee auf die Theke. Sie quittierte das mit einem kaum sichtbaren Zucken des Kinns und wandte sich wieder ihren Gläsern zu. Es hätte zu dieser Nacht gepasst, wenn sie dabei heiser gekrächzt hätte und weggeflogen wäre.
     
    Draußen standen wir unschlüssig vor unseren Autos. Hinter dem Edeka-Markt auf der anderen Straßenseite wurde es langsam hell. Aus einem großen Lastwagen vor dem Wareneingang entluden zwei Männer mit dicken Handschuhen Tiefkühlkost. Über den gefrorenen Paketen lag ein feiner Nebelschleier. Ich musste mich abwenden. Irene öffnete ihren Wagen und stieg ein.
     
    »Kann ich dich morgen anrufen? Ich muss das in den nächsten Tagen schreiben und möchte dich noch viele Sachen fragen.«
     
    »Natürlich.« Ich hätte sie gerne umarmt.
     
    Wir winkten uns zu und fuhren in unterschiedliche Richtungen davon. Ich ließ die Fenster im Wagen herunter und drehte das Radio laut. Wieder deutsche Schlager. Zum zweiten Mal an diesem Tag lief mir eine Träne über das Gesicht. Verdammter Fahrtwind.
     

Rendezvous
     
    dachte ich, als ich die Augen aufschlug und meinte wohl Déjà-vu, aber französisch war nie meine Stärke gewesen. Auf jeden Fall stand meine Mutter an diesem späten Samstagmorgen wieder mit der Zeitung in der Hand an meinem Bett. Die Buchstaben auf der Titelseite schienen seit dem letzten Fund noch einmal ordentlich zugenommen zu haben, aber ich hatte gestern Nacht wenigstens erfolgreich verhindert, dass die hechelnden Jäger der Sensationen ein neues Foto von mir gemacht hatten. Das hatte sie natürlich nicht daran gehindert, das Alte erneut abzudrucken.
     
    Der Strickstrumpfmörder schlägt wieder zu – Es ist Serienmord! Sie findet den zweiten toten Fuß!, schrien die adipösen Schlagzeilen. Darunter das übliche Chaos. Alle möglichen und unmöglichen Adjektive tyrannisierten kurze Sätze und einige arrogante Superlative schlugen wild um sich.
     
    »Sie wissen es zum Glück nicht.« ErzEngel war nervös, und das war sie selten. Ich schaute kurz auf mein Handy, auf dem es außer der Uhrzeit und dem Datum nichts zu sehen gab. Schade.
     
    »Es steht aber doch hier.« Ich deutete in das sprachliche Schlachtfeld. »Die Ermittler der Polizei gehen jetzt von einem zweiten Toten aus, da der gefundene Fuß wieder ein rechter Fuß war. Das war schon gestern Nacht am Gasometer schnell durchgesickert.«
     
    »Sie wissen nichts von Rilke.« Meine Mutter sah mich an, als hätte sie etwas Sinnvolles gesagt.
     
    »Ich weiß auch nichts von Rilke.« Neben französisch war ich auch im Deutschunterricht nicht sehr aufmerksam gewesen.
     
    »Rainer Maria Rilke, der Dichter. Der Text unter dem Fuß ist der Anfang eines Rilke-Gedichts. Diese spezielle Seite entstammt der bekanntesten Gesamtausgabe mit unzähligen Auflagen. Sauber herausgeschnitten, keine Fingerabdrücke, weder auf dem Papier noch auf dem Fuß.« ErzEngel setzte sich an meinen Laptop und rief eine Wikipedia-Seite auf. »Hier ist der ganze Text. Insgesamt eine eher düstere Sache. Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Rilke hat diese erste Zeile bei einem Spaziergang am Meer im Wind vernommen. Wir hätten wahrscheinlich Möwen gehört, aber er war eben ein Dichter. Wer immer das Gedicht ausgesucht hat, macht sich viele Gedanken über die Leere, die Leere, die der Tod hinterlässt und die Leere, die entsteht, weil man den geliebten Menschen nicht begreifen kann.«
     
    Ich nahm mir den Laptop und überflog die Seite. »Wer immer das tut, hat zwei Menschen in diese Leere befördert.«
     
    »Davon sollten wir ausgehen.« Meine Mutter zog einen Zettel hervor und überflog ihn kurz. »Die Todesursache ist identisch mit dem anderen Fuß, der Zeitpunkt auch. War übrigens auch ein älterer Mensch und mit dem ersten Fuß nicht verwandt. Er wird ebenfalls nicht vermisst.« Die Skatrunde spielte jetzt endgültig Solitaire.
     
    »Fuß eins hat das letzte Jahr also mit einem Altersgenossen in der Truhe verbracht, wie schön.« Mir war eigentlich gar nicht nach Scherzen zumute, das war eher ein Reflex, der mich schützte, und ErzEngel durchschaute das sofort. »Gib

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