Herz und Fuß
ihm von der Katastrophe erzählt?« Baby nannte SIE nur die Katastrophe.
»Ich habe erwähnt, dass es eine längere Beziehung gab und dass die Betreffende weit weg wohnt und keinerlei negative Gefühle für mich hegt.«
»Und keine positiven. Du bist und warst ihr nämlich total egal.« Baby wickelte einen frischen Kaugummi aus dem Papier und das Geräusch machte mich aggressiv.
»Du kanntest sie doch gar nicht.« Wir diskutierten dieses Thema nicht zum ersten Mal und ich wusste genau, was sie jetzt sagen würde.
»Genau. Was für meine Theorie spricht. Du warst acht Jahre mit ihr »zusammen« und niemand von deinen Freundinnen kannte sie. Und warum war das so? Dein Leben hat sie einfach nicht interessiert.«
»Baby, bitte, das ist lange vorbei und ich habe im Augenblick andere Sorgen!«
Sie unterbrach ihre heftigen Kaubewegungen und legte den Arm um mich. »Sie hat dir wehgetan und ich konnte nichts tun, und das macht mich immer noch wütend.«
Ich lehnte mich an sie und sagte. »Da draußen ist jemand, der ältere Menschen tötet und einfriert. Und dem das jetzt langweilig geworden ist und der mich möglicherweise beobachtet.« Immer, wenn ich mir das klarmachte, wurde mir kalt und ich fühlte mich klein und schutzlos. Der unendliche blaue Himmel über mir machte das nicht besser. Die beiden Gänse kamen zurück und umkreisten uns in großer Höhe. Ich vermochte ihnen nicht anzusehen, ob sie aus Kanada kamen und zu den zwölf oder den achtundachtzig Prozent gehörten.
Baby strich mir beruhigend über den Rücken. »Möglich und nicht möglich. Es kann doch auch sein, dass es am Gasometer liegt und nicht an dir. Vielleicht liebt er den Ausblick. Das mit dem Engel und deinem Namen ist doch sehr weit hergeholt. Vielleicht heißt der Kühltruhenbesitzer Michael oder die beiden Toten hießen Uriel und Ezekiel. Ich verstehe das Gedicht sowieso nicht. Wieso sind Engel schrecklich?«
Darüber hatte ich auch schon nachgedacht. »Vielleicht meinte Rilke, dass es Dinge gibt, die so schön und mächtig sind, dass sie uns, wenn wir ihnen zu nahe kommen, im Endeffekt zerstören.«
»Und wie passt das zu den beiden alten Herren in der Kühltruhe? Wem sind die zu nahe gekommen?« Baby verscheuchte eine weibliche Mücke, die ihren wahrlich appetitlichen nackten Arm für eine Einladung gehalten hatte.
Auch darüber hatte ich nachgedacht und war zu keinem Ergebnis gekommen. »Irene Thomas kommt morgen und wir machen das Interview fertig. Sie hat mir den ersten Entwurf mit ihren Eindrücken schon geschickt. Das wird zur Abwechslung mal eine gute Geschichte, nicht so ein Großbuchstabenschund. Schade, dass sie über die Rose und das Gedicht nicht schreiben darf, sie schreibt sehr schön. Sehr einfühlsam.«
»Womit wir wieder beim Thema Liebe wären.«
»Wie kommst du denn darauf?« Ich sah Baby böse an.
»Ist sie nicht frisch verliebt, verlobt und demnächst verheiratet?« Baby sah eine Spur zu unschuldig aus. Meine Begeisterung für die attraktive Frau, mit der ich eine in weiten Teilen schlimme Nacht verbracht hatte, musste unbemerkt in meine Worte gesickert sein. Das war mit Begeisterung so. Sie war flüssig, so lange sie noch so frisch war, und breitete sich schnell unkontrolliert in andere Bereiche aus. Ich musste darauf achten.
»Wird zwar Zeit, dass du den Altar der Katastrophe endlich abräumst, aber diesen Weg kann ich dir nicht empfehlen, weil er in die gleiche Richtung führt. Habe ich Richtung gesagt? Ich meinte Sackgasse! Oder interessiert dich nur das Unerreichbare, das ständige Sehnen? Willst du den Niederungen des Alltags durch die ewig unerfüllte Liebe ausweichen?«
»Mich interessiert, wer dir ein Abonnement der Zeitschrift ›Psychologie heute‹ geschenkt hat?«
»War sie denn nicht perfekt, deine ›Beziehung‹ zur Katastrophe? Sie hat nie die Zahnpasta falsch zugedreht, die Milch vergessen oder den Müll nicht hinuntergebracht. Ihr seid nie gemeinsam mit schlechtem Atem und schlechter Laune erwacht. Ihr habt euch nie die falsche Couch ausgesucht und dann darüber gestritten. Und warum? Weil sie nie da war. Perfekt!« Baby schlug mit einem Handstreich eine ganze Gruppe junger, wilder Mückenmädchen bewusstlos. Offensichtlich hatte die erste Mücke Verstärkung angefordert.
»Wer im Glashaus sitzt …, meine Liebe. Ich kann mich nicht erinnern, dass in deinem Leben eine Frau jemals lange genug anwesend war, um überhaupt
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