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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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»Raucherclub« hatte uns schon an der Tür wissen lassen, dass hier der Zusammenhang zwischen Mensch, Kultur und Kneipe mit dem Einatmen eines giftigen Alkaloids, welches ursprünglich die Tabakpflanze vor Schädlingen schützen sollte, bewahrt wurde. Damit auch kein Kulturloser sich diesem Erlebnis entziehen konnte, dienten die kleinen, schmalen Fenster nur als trübe Fototapeten und waren sicherlich nicht zum Lüften gedacht. Am Tisch gegenüber döste ein Betrunkener über einem leeren Bierglas und einem vollen Bierdeckel. Zwei Taxifahrer spülten am Ende der rustikalen Theke auf rot gepolsterten Hockern ihre Zigaretten mit Kaffee hinunter. Jedenfalls sah es so aus, als täten sie das, denn auf jeden langen Zug an ihren leicht zerknitterten Zigaretten folgte ein tiefer Schluck aus den grässlich geblümten, dampfenden Bechern, die auch vor Irene und mir standen. Die Wirtin hinter der Theke wischte gelangweilt Gläser und ihre hoch aufgetürmten, tiefschwarzen Haare sahen aus wie das Nest einer Krähe. Aus einem kleinen Lautsprecher über der Eingangstür plärrten deutsche Schlager, die in etwa genauso alt waren wie die gräulichen Frikadellen, die unter einer beschlagenen Plastikglocke auf Hungrige warteten, die nichts mehr zu verlieren hatten. Es gab nur diese eine Nachtgaststätte in der Nähe und nur ein Duett aus totem Fuß und schöner Frau hatten mich dazu bringen können, sie aufzusuchen. Es war mittlerweile halb vier morgens und die letzten drei Stunden waren eine schwer verdauliche Mischung aus Verwirrung, Angst und vollkommener Ratlosigkeit gewesen.
     
    Waren es diesmal mehr Polizeibeamte und noch mehr Presse gewesen oder war mir das nur so vorgekommen? Irene und ich waren erst getrennt und dann zusammen befragt worden. Helmut hatte die meiste Zeit schweigend mit seiner Tasche auf dem Schoß im Kassenhäuschen gesessen und ununterbrochen den Kopf geschüttelt. Als ein junger Beamter ihn gefragt hatte, wo er denn genau gegen Ende der Museumsnacht gewesen sei, war sein Kopfschütteln noch ruckartiger geworden und die Erschütterung darüber, dass man ihn verdächtigte, hatte ihn deutlich älter aussehen lassen.
     
    Und sie verdächtigten nicht nur Helmut.
     
    »Was hat das denn mit mir zu tun?«, hatte ich gefragt, als der Beamte mit dem langen Namen nach vielen Fragen noch einmal genau wissen wollte, was ich den ganzen Abend über gemacht hatte. Er hatte betont gleichgültig auf seinen Notizblock gestarrt. Und das hatte mich extrem unruhig werden lassen.
     
    »Sie glauben doch nicht, dass ich diese Sachen hingestellt habe, oder? Hier sind heute über tausendfünfhundert Menschen gewesen. Es waren hunderte auf dem Dach. Man kann sich bei uns stundenlang aufhalten und auf den idealen Moment warten. Ich habe im Übrigen auch keine Kühltruhe!« Meine Stimme hatte sich überschlagen und mir waren die Tränen gekommen, etwas, das mir äußerst selten passierte. Seit IHR war mir das eigentlich kaum mehr passiert.
     
    »Wir müssen alles überprüfen, das wissen Sie doch, Frau Gabriel.« Es hatte mich beunruhigt, dass er meinen Namen nicht mehr nachschauen musste. Also hatte ich ganz genau erklärt, wo ich mich aufgehalten hatte und mit wem und warum. Hatte von Baby, der ewigen Annabelle, Irene und dem Aufzug auf der vierten Etage erzählt. Dass »diese Frau Thomas«, wie sie Irene nannten, ausgerechnet die Journalistin war, die an einer Story über das Ganze arbeitete, hatte weder ihm noch seinen Kollegen gefallen, aber sie konnten es auch nicht ändern.
     
    »Das heißt, Sie vermuten, wer immer kurz vor Ihnen auf dem Dach war, könnte von dort bis zur vierten Etage gefahren und dann den Rest bis unten gelaufen sein?«
     
    »So kann man auf jeden Fall verhindern, dass man überraschend vor jemandem steht, wenn die Aufzugtür im Erdgeschoss aufgeht. Auf dem Treppenturm kann man in der Dunkelheit leichter ausweichen.«
     
    »Gut. Dieses Mal haben Sie nichts berührt?« Er hatte mich durchdringend angesehen, als könnte meine Antwort ihm einen tiefen Einblick in meine Persönlichkeit gewähren. Vielleicht hatte er aber auch ganz normal geschaut und meine überreizten Nerven hatten ihr Heil in der Paranoia gesucht.
     
    »Wir haben beide nichts angefasst. Auch diesen Zettel nicht.«
     
    »Aber Sie haben gelesen, was darauf stand?« Man hatte seinem Tonfall angehört, dass er die Antwort kannte.
     
    »Ja. Es war eine Art Gedicht. Über einen Engel.« Ich hätte die Zeilen in diesem Moment nicht

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