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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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König Pils unterscheiden, aber sie wusste, was mein Bruder von ihr erwartete. Und was nicht. Ihr Laptop ruhte gut verschlossen im Arbeitszimmer. Ich beschloss, der Konfrontation auszuweichen, ich hatte genug Probleme. »Ja, es ist nicht schön.«
     
    »Nicht schön? Das ist typisch für dich!« Heiner hob den Blick von seiner Zahlenpolonaise, schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund und zermalmte es stellvertretend für alles Böse in der Welt zwischen seinen Zähnen. »Dass mir das jetzt auch noch passieren muss.«
     
    Natürlich, wie hatte ich vergessen können, dass die jüngere Geschichte der Menschheit aus Ereignissen bestand, die meinem Bruder passiert waren. Als mein Vater Ende der siebziger Jahre kurzfristig seine Arbeit verlor, konnte mein Bruder es nicht fassen, dass das ausgerecht ihm nach seinem Wechsel aufs Gymnasium passieren musste. Er hatte in der Folge auch mein Coming-out und den Unfall meiner Eltern als persönliches Schicksal durchlitten. Die deutsche Wiedervereinigung hatte seine Aussicht auf einen Job im nahe gelegenen Bonn zerstört und Terroristen hatten ihm am 11.09.2001 den lange geplanten USA-Aufenthalt ruiniert.
     
    Sein Kiefer nahm gleichzeitig Rache am Kuchen und an der Welt.
     
    »Das sind die Konsequenzen dieser liberalen Tendenzen, ohne Werte, ohne Regeln. Hier kann doch bald jeder machen was er will! Kein Wunder, dass Mutter das Haus nicht mehr verlässt.« Er warf mir einen schrägen Blick zu. Eigentlich sagte er »Konschzequenschen« und »Tendenzschen« und die gelbliche Obstmasse quoll dabei aus seinen Mundwinkeln, aber ich versuchte, mich nicht darauf zu konzentrieren. Wenn ich mir allerdings die steile Zornesfalte auf seiner Stirn ansah, war unsere gemeinsame Mutter auch in ihrem Haus nicht wirklich sicher.
     
    »Ich weiß nicht, ob es für unsere Mutter nicht besser wäre, an einem sicheren Ort zu wohnen. Ich muss ja schließlich mit dieser ständigen Sorge klarkommen.« Heiner quetschte noch mehr Obstmatsche in den Mund. Der Umzug seiner Mutter in ein Altenheim war ihm nicht nur aus reiner Sorge wichtig, sondern der dann anstehende Verkauf unseres Elternhauses sollte auch die Abzahlung seiner Doppelhaushälfte entscheidend beschleunigen. ErzEngel summte jetzt lauter. Ich sah sie kurz an, sie nickte unauffällig und begann langsam vor und zurück zu wippen.
     
    »Heiner, bitte. Du weißt doch wie schnell Mutti sich aufregt.« Mein Bruder sah ungehalten zu unserer Mutter, die jetzt schneller wippend mit einem Bleistift große, dunkle Kreise auf das Bild einer europäischen Königin, die sich zu staunenden, aber frisch gewaschenen Waisenkindern hinunterbeugte, malte. Ich ging zu ihr hinüber, nahm ihr den Stift weg und sagte: »Es wird spät. Heiner und Lena-Stella müssen jetzt leider gehen, Mutti. Sollen wir sie zur Tür bringen?«
     
    »Schon? Ich wollte doch noch Schnittchen machen« Sie schaute mich mit traurigen Augen an und sah dabei wie der Harlekin aus, dem auf zu bunten Ölbildern eine gläserne Träne die Wange hinabrann.
     
    »Die Schnittchen machst du das nächste Mal, Mutti.« Heiner und Stracciatella ließen sich von ErzEngel und mir hinausbegleiten und ich achtete darauf, dass die Tür hinter ihnen sauber ins Schloss fiel.
     
    ErzEngel sah mich fragend an, verschwand dann kurz im Bad und begann mit einer Bürste ihre Haare zu teilen. «Meinst du, das mit dem Hospitalismus war zu viel?«
     
    »Das fand ich persönlich sehr gelungen. Die traurigen Augen waren zu viel. Hast du eigentlich keine Angst, dass er eines Tages mitbekommt, dass du mit erstaunlich klarem Verstand Computerkurse im Gemeindezentrum gibst?«
     
    Sie schüttelte den Kopf. »Überhaupt keine. Kein Schwein bemerkt, was alte Menschen tun, und das interessiert auch niemandem.«
     

Diesen Tag
     
    würde mein Freund, der Staub, so schnell nicht vergessen. Zuerst hatte ich ihn in aller Frühe mit lautem Staubsaugergetöse geweckt und dann hatte ich ihn gnadenlos über Tische und Regale bis aus dem Fenster gejagt. Dort hatte er, betrunken von so viel Freiheit, minutenlang im hellen Sonnenlicht zu der lauten Musik aus meinen Boxen getanzt, bis ihm klar geworden war, dass ich das Fenster hinter ihm geschlossen hatte. Jetzt lag er niedergeschlagen im Gras und hoffte, sich unter der nächsten Schuhsohle zurückschleichen zu können.
     
    Genau 63 Sekunden nach 15.00 Uhr klingelte es und ich rannte die Treppe hinab, um Irene Thomas zu öffnen.
     
    »Du bist aber pünktlich.« Nicht,

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